Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
»Erinnerst du dich an Sheena O’Connor? Sie ist heute Nachmittag aus dem Koma aufgewacht«, plapperte ich weiter, fast als hätte ich Angst, ihn zu Wort kommen zu
lassen. »Es war erstaunlich. Alle haben gesagt, es wäre ein Weihnachtswunder.«
»Das muss sehr aufregend gewesen sein.«
»Es war absolut verblüffend. Und das Beste ist, sie hat mich im Koma singen hören. Ist das nicht schier unglaublich?«, fragte ich und klang wie Alison. In drei Sekunden hatte ich ebenso viele Superlative gebraucht. »Aber das kann ich dir auch heute Abend erzählen.«
Es folgte ein furchtbares Schweigen. Zum zweiten Mal an diesem Tag sank mein Mut in den Keller, meine Fröhlichkeit schlug krachend und mit solcher Wucht auf dem Boden auf, dass ich spürte, wie das Zimmer unter meinen Füßen bebte.
»Ich komme mir vor wie ein Arschloch«, sagte Josh.
»Gibt es ein Problem?« Ich öffnete die erstbeste Schublade und stopfte die Geschenktüte aus der Galerie Lorelli hinein, denn Josh Wylie würde ich wohl so bald nicht treffen.
»Es ist wegen Jillian«, sagte er. Seine Tochter. »Sie ist früher von der Schule nach Hause gekommen, weil sie sich nicht wohl fühlte.«
»Hat sie Fieber?«
»Ich glaube nicht, aber der Gedanke, sie alleine zu lassen, behagt mir nicht. Es tut mir unendlich Leid. Ich kann nicht glauben, dass ich dich zweimal an einem Tag versetze. Vielleicht solltest du tatsächlich die Polizei rufen.«
»Manche Tage sind halt so«, sagte ich lahm, knallte die Schrankschublade zu und beobachtete, wie die drei Weihnachtsmänner gegeneinander purzelten wie Dominosteine.
»Ich komme mir wirklich mies vor.«
»Du wirst es bestimmt wieder gutmachen«, hoffte ich tapfer.
»Auf jeden Fall. Sobald ich aus Kalifornien zurück bin.«
»Du fährst weg?«
»Nur ein paar Wochen. Die Kinder haben Cousins in San Francisco. Wir fliegen morgen und kommen am dritten Januar zurück.«
Damit hätte sich auch Silvester erledigt, dachte ich.
»Ich hoffe, du hasst mich jetzt nicht.«
»So was passiert halt.«
»Ich mache es bestimmt wieder gut.«
»Ich wünsche dir eine gute Reise«, sagte ich. »Und richte Jillian gute Besserung aus.«
»Mach ich.«
»Bis nächstes Jahr«, sagte ich fröhlich, legte den Hörer auf und brach in Tränen aus. »Verdammt!«, fluchte ich. »Verdammt. Verdammt. Verdammt!«
Es klopfte an der Hintertür. Tränenblind fuhr ich zusammen.
»Tut mir Leid«, sagte Alison zu dem Gebimmel der Glöckchen, als ich ihr die Tür aufmachte. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
Ich sah kurz ihre rotblonden Locken, die weißen Shorts und die langen, braunen Beine, bevor ich mich abwandte.
»Terry, was ist los?«
»Warum hast du mir nicht erzählt, dass du deinen Job verloren hast?«, fuhr ich sie an. Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Augen, ohne sie anzusehen.
Ich konnte förmlich spüren, wie sie blass wurde. »Was?«
»Ich bin heute Nachmittag in der Galerie gewesen. Ich habe mit Fern Lorelli gesprochen.«
»Oh.«
»Sie hat gesagt, sie hätte dich entlassen müssen.«
Schweigen. Dann: »Was hat sie noch gesagt?«
»Nicht viel.«
»Sie hat nicht gesagt warum?«
Ich wischte die letzte verirrte Träne aus meinen Augen, bevor ich herumfuhr und sie direkt ansah. Alison schlug sofort die Augen nieder. »Sie hat gesagt, ich sollte dich fragen.«
Alison nickte, konnte mir jedoch nach wie vor nicht in die Augen schauen. »Ich wollte es dir erzählen.«
»Aber du hast es mir nicht erzählt.«
»Ich dachte, ich warte, bis ich einen neuen Job gefunden habe. Ich wollte nicht, dass du dir wegen der Miete Sorgen machst. Ich wollte Weihnachten nicht verderben.«
»Warum bist du entlassen worden?«
Alison hob langsam den Blick. »Ich habe nichts Unrechtes getan«, erklärte sie flehend. »Offenbar hat in der Kasse Geld gefehlt. Es gab Fehlbeträge … aber ich schwöre, ich war’s nicht.«
»Es war nur leichter, dich zu feuern, als ihre eigene Nichte mit dem Vorwurf zu konfrontieren«, half ich schließlich weiter und biss mir auf die Zunge, um nicht hinzuzufügen, hab ich’s dir nicht gesagt .
»Du musst dir überhaupt keine Sorgen machen. Ehrlich, ich habe genug Geld.«
»Wegen des Geldes mache ich mir auch keine Sorgen.«
»Weswegen dann? Machst du dir Sorgen um mich? Das musst du nicht«, sagte sie, bevor ich antworten konnte. »Es tut mir Leid, dass ich es dir nicht erzählt habe. Ich werde dich nie wieder anlügen. Ich verspreche es. Bitte sei nicht böse mit mir.«
»Ich bin
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