Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
nicht böse.«
»Wirklich nicht?«
Ich schüttelte den Kopf und stellte fest, dass ich tatsächlich auf niemanden böse war, höchstens auf mich selbst. Weil ich eine so verdammte Idiotin war.
»Ich habe eine super Idee«, verkündete Alison plötzlich und rannte aus dem Zimmer.
Ich hörte sie unter dem Weihnachtsbaum herumkramen, und wenig später stand sie mit einem bunten, wenn auch ein wenig nachlässig verpackten Paket wieder vor mir. »Da wir die Geschenke sowieso zu früh aufmachen, kann es bestimmt nicht schaden, dies hier schon jetzt auszupacken. Achte nicht auf die Verpackung. Dabei habe ich sogar mal einen Kurs in
Geschenkverpackungen gemacht, kaum zu glauben, was? Los. Mach es auf. Danach fühlst du dich bestimmt besser.«
»Was ist es denn?«
»Mach’s auf.«
Ich riss die Verpackung von dem braunen Pappkarton und öffnete ihn. Große dunkle Augen starrten mich durch eine Schicht durchsichtiger Noppenfolie an. Behutsam hob ich die Vase hoch. Die Porzellandame hatte eine kunstvolle blonde Haarpracht, eine große blaue Schleife um den Hals und nachgemachte Brillantohrringe. »Sie ist wunderschön. Wo hast du denn die gefunden?«
»Auf dem Flohmarkt in der Woolbright Street. Ist sie nicht super? Ich meine, ich weiß, dass du es für Nippes hältst und so, aber ich konnte einfach nicht widerstehen. Ich hab sie gesehen und gedacht, das ist irgendwie ein Zeichen.«
»Ein Zeichen?«
»Ja, als hätte ich sie gefunden, weil du sie haben solltest. Schicksal«, sagte sie und verdrehte verlegen die Augen. »Ich meine, die anderen Köpfe haben deiner Mutter gehört. Dieser hier, nun ja … er gehört ganz allein dir. Deine Erstgeborene sozusagen. Gefällt sie dir?«
»Sie gefällt mir sehr gut.«
Alison quiekte entzückt. »Sie ist in einem erstklassigen Zustand. Guck dir mal die Wimpern an.«
»Sie ist perfekt.« Ich wendete den Porzellankopf in meinen Händen. »Vielen Dank.«
»Fühlst du dich jetzt besser?«
»Viel.«
»Wo willst du sie hinstellen?« Alison blickte zu den fünf Regalböden mit Damenköpfen.
»Diese ist etwas ganz Besonderes. Ich glaube, ich stelle sie in meinem Zimmer auf.«
Alison strahlte, als hätte ich ihr das größtmögliche Kompliment gemacht. »Dann sehen wir uns später?«
»Später«, erwiderte ich und hörte die Glöckchen klingeln, als sie die Tür von der Küche in den Garten hinter sich zuzog. Ich ging ins Esszimmer und musste lächeln, als ich die Palmwedel und Tannenzweige auf dem Schrank, den Nikolaus mit den rosigen Bäckchen auf dem Esstisch und das Rentier aus Pappmachée sah, das an der Wand lehnte.
Im Wohnzimmer war es das Gleiche: noch mehr Nikoläuse, Rentiere und mindestens ein Dutzend Elfen. Wo immer Platz war, war er weihnachtlich dekoriert. Und dann war da natürlich noch der Baum selbst – hoch und dicht und nach Wald duftend, dekoriert mit rosafarbenen Schleifen und einer weißen Lichterkette -, unter dem sich täglich mehr Geschenke stapelten. Der bloße Anblick munterte mich auf. Und all das war Alisons Werk, wie ich erkannte. Ich wiegte den Porzellankopf sanft in meinen Händen, als wäre er tatsächlich mein erstgeborenes Kind.
Das wahre Weihnachtswunder war Alison, entschied ich.
Was muffelte ich also im Haus herum, weil irgendein Typ mich versetzt hatte? Ich sollte einfach an all die Dinge denken, für die ich dankbar war.
Nenne drei , hörte ich Alison sagen.
»Meine Gesundheit«, sagte ich mit leisem Unmut ganz automatisch. »Sheena O’Connors wundersame Genesung.« Mein Gott, sie hatte tatsächlich gehört, wie ich ihr etwas vorgesungen hatte. »Alison«, flüsterte ich und wiederholte dann lauter und kraftvoller: »Alison!«
Ich betrachtete den Porzellankopf in meinen Händen und fühlte mich zutiefst beschämt. Ich war nicht besser als Fern Lorelli, dachte ich angewidert. Ich hatte Alison als Sündenbock benutzt, hatte meine Wut und Enttäuschung über jemand anderen an ihr ausgelassen.
Wie hatte ich sie gehen lassen können, ohne ihr auch etwas zu schenken? Ich nahm ein kleines, in Silberpapier eingewickeltes Paket von dem Stapel unter dem Baum und trug es in
die Küche, wo ich den Porzellankopf auf dem Tisch neben den Nikolaus-Salz- und Pfefferstreuern abstellte, die Alison in einem Laden ausgesucht hatte. Das Gebimmel der Glöckchen folgte mir auf meinem Weg zum Gartenhäuschen.
Als ich gerade an die Tür klopfen wollte, hörte ich dahinter Stimmen.
»Ich habe dir doch gesagt, dass du mich das regeln lassen sollst«,
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