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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
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so Leid.«
    »Mein Instinkt hat versucht, mich zu warnen, doch ich habe nicht auf ihn gehört.«
    Ich nickte. Wie oft ignorieren wir unseren Instinkt, dachte ich. Wie oft schenken wir dem Flüstern der Blätter keine Beachtung.
    »Singen Sie noch mal mit mir?« Sheena ließ sich auf ihr Kissen sinken und schloss die Augen.
    » Tu-ra-lu-ra-lu-ra-lu «, begann ich leise.
    » Tu-ra-lu-ra-lu-ralu «, sang Sheena mit mir.
    » Tu-ra-lu-ra-lura-lu «, sangen wir mit zunehmend kräftigeren Stimmen gemeinsam. Und ein paar flüchtige Minuten lang konnte ich so tun, als hätten die Blätter aufgehört zu flüstern und mit der Welt wäre alles Ordnung.

17
     
     
    »Er hat noch mal angerufen«, sagte Beverly, als ich am Ende meiner Schicht zum Schwesterntresen zurückkam.
    Ich musste nicht fragen, wen sie meinte. »Wann?«
    Beverly blickte auf die große runde Uhr an der Wand. »Vor etwa vierzig Minuten. Ich habe ihm gesagt, du wärst tot.«
    Ich musste unwillkürlich lachen. »Was hat er gesagt?«
    »Er meinte, er würde dich später erwischen.« Sie zuckte resigniert mit den Achseln. »Die Weihnachtszeit lockt sämtliche Irre aus ihren Löchern.«
    »Wahrscheinlich«, meinte ich und ging wie auf Autopilot geschaltet zum Fahrstuhl und drückte auf den Knopf, bis die Tür aufging. War das die einzige Erklärung?
    Mein Instinkt hat versucht, mich zu warnen , hörte ich Sheena O’Connor sagen, doch ich habe nicht auf ihn gehört .
    Der Fahrstuhl war bereits ziemlich voll, und ich musste mich zwischen zwei Männer mittleren Alters drängeln, von denen einer eine Alkoholfahne hatte, während der andere offenbar seine Körperpflege vernachlässigte. Ich sah zu, wie die Tür sich schloss, bevor die Kabine ihren beinahe quälend langsam Abstieg begann. »Frohe Weihnachten«, sagte einer der Männer, und der Geruch von Whiskey erfüllte den engen Raum wie Schwaden eines giftigen Gases.
    Ich hielt die Luft an, nickte und betete, dass der Fahrstuhl nicht auf jedem Stockwerk halten würde, was er natürlich doch tat, sodass noch mehr Menschen in die enge Kabine drängten. »Frohe Weihnachten«, begrüßte der Mann neben
mir jeden neuen Fahrgast und versuchte einmal sogar, sich höflich zu verbeugen, wodurch er prompt das Gleichgewicht verlor, gegen mich taumelte und bei dem Versuch, Halt zu finden, mit der Hand meine Brust streifte. »Tut mir schrecklich Leid«, sagte er mit einem dümmlichen Grinsen, während ich gegen den Drang ankämpfte, mich zu übergeben. Im Gegensatz zu Alison hatte ich diesbezüglich keinerlei Phobien.
    Endlich hielt der Fahrstuhl mehrfach ruckelnd im Erdgeschoss, als wäre er selbst überrascht, intakt in der Halle gelandet zu sein, und die Tür öffnete sich. Alle Fahrgäste strömten aus der engen Kabine wie Wasser aus einem Glas. Ich spürte eine Hand an meinem Po, tat diese Belästigung jedoch sofort als unvermeidliche Folge der vielen Menschen ab, die sich auf engstem Raum zusammenquetschten wie die Ölsardinen, bis ich spürte, wie sich verirrte Finger zwischen meine Beine zu tasten suchten. Ärgerlich schlug ich die Hand weg und starrte den Betrunkenen neben mir wütend an, dessen dümmliches Grinsen sich mittlerweile über sein ganzes Gesicht ausgebreitet hatte. »Arschloch«, murmelte ich, trat in die Halle, atmete die angehaltene Luft aus und schlug nach einer weiteren Phantomhand, die mit unsichtbaren Fingern nach mir grabschte.
    »Terry«, sagte eine Stimme hinter mir, und als ich mich umdrehte, blickte ich in das Gesicht einer attraktiven Frau mit dunklem Teint, etwa fünf Jahre jünger als ich, deren Namen mir partout nicht einfallen wollte. »Luisa«, sagte sie, als würde sie meine Zwangslage ahnen. »Aus der Anmeldung. Ich dachte, ich hätte dich erkannt, als du in den Fahrstuhl gestiegen bist, aber es war so voll …«
    »Gestunken hat es auch.«
    Sie lachte. »War das nicht furchtbar? Hattest du Dienst?«
    Ich nickte. »Und du?«
    Sie schüttelte den Kopf, und mehrere schwarze Locken
fielen in ihre breite Stirn. »Nein. Ich habe meine Großmutter besucht. Sie ist letzte Woche über einen winzigen Riss im Bürgersteig gestolpert und hat sich die Hüfte gebrochen. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Das tut mir Leid.«
    »Alt werden ist doch wirklich ein Kreuz.«
    Ich dachte an meine Mutter, an Myra Wylie und all die anderen kranken, hilflosen Männer und Frauen, die ihr »Verfallsdatum« überschritten hatten.
    »Na, frohe Weihnachten denn«, sagte Luisa. »Und falls wir uns vorher nicht mehr

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