Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
oder darüber, dass ich nach wie vor nicht herausbekommen hatte, welches Spiel hier eigentlich gespielt wurde?
Eins war jedenfalls klar: Ich war kein wahlloses Opfer. Offensichtlich hatte man mich sorgfältig studiert und zu einem
ganz bestimmten Zweck ausgewählt, wobei mir der Grund dafür weiterhin schleierhaft blieb. Eine Menge Zeit und Geld – ich dachte an das teure Gemälde, das Alison mir um Mitternacht überreicht hatte – war in den Plan geflossen, den sie mit ihrem Bruder ausgebrütet hatte. Aber warum? Was konnten sie bloß mit mir vorhaben? Was konnten sie von mir erwarten? Und was hatte, wenn überhaupt etwas, Erica Hollander mit alledem zu tun?
Ich stieg aus dem Wagen, suchte in der Handtasche nach meinem Schlüssel und erwog erneut, die Polizei anzurufen. Und was genau wollte ich sagen? Dass ich mein Gartenhäuschen an eine junge Frau vermietet hatte, die ich jetzt verdächtigte, eine Betrügerin zu sein. Oder Schlimmeres.
Und womit hat diese junge Frau Ihren Verdacht erregt , konnte ich die Beamten fragen hören. Hat sie Sie um Geld gebeten? Schuldet sie Ihnen die Miete ?
Nun ja, eigentlich nicht. Sie bezahlt ihre Miete pünktlich und hat mich noch nie um etwas gebeten. Im Gegenteil, sie kauft mir teure Geschenke und gibt sich alle erdenkliche Mühe, nett zu mir zu sein.
Nun, das ist in der Tat verdächtig. Kein Wunder, dass Sie uns angerufen haben.
Sie verstehen mich nicht. Ich habe Angst.
Wovor genau haben Sie denn Angst?
Ich weiß es nicht.
Hören Sie, meine Dame, es ist Ihr Haus. Wenn Sie sie nicht mögen, sagen Sie ihr, dass sie ausziehen soll .
Genau. So einfach. Ihr sagen, dass sie ausziehen soll. Mehr musste ich nicht machen. Und warum tat ich das dann nicht? Was hielt mich zurück? Warum versuchte ich, mir trotz sich anhäufender gegenteiliger Beweise einzureden, dass es für jedwede Lüge und Täuschung eine einfache und absolut logische Erklärung gab, dass bisher nichts geschehen war, was sich nicht sauber aufklären ließ? Wollte ich mir immer noch
weismachen, dass es keinerlei Hintergedanken, keine große Verschwörung und keine Gefahr für meine Sicherheit und mein Wohlbefinden gab?
Ich kann Sie nicht auffordern auszuziehen .
Warum nicht ?
Weil ich nicht will, dass sie geht , gestand ich mir stumm ein.
Es war ihr Bruder, den ich weg haben wollte, und in einer Woche würde er auch verschwunden sein. Ein frohes neues Jahr fürwahr! Dann konnten wir wieder dahin zurückkehren, wie es am Anfang gewesen war. Wir konnten wieder so tun, als würde Alison mir nichts vormachen, als wäre sie genau der Mensch, als der sie sich mir anfangs präsentiert hatte.
Und in diesem Moment stolperte ich über das Bild Sheena O’Connors, die vor meinem inneren Auge auf einer Decke in meinem Vorgarten lag. Ich sah, wie sie den Verschluss ihres Bikinioberteils am Rücken öffnete und es abstreifte, bevor sie ihr Profil träge dem gleichgültigen Mond am Himmel zuwandte. Ich spürte die kühle Brise, die in den Blättern der Bäume raschelte, hörte das leise Flüstern, das sie warnen wollte, sah, wie sie es mit einer achtlosen Handbewegung abtat, als würde sie eine lästige Mücke vertreiben.
Konnte ich es mir leisten, derart unbekümmert zu sein?
Die einzige Lösung bestand darin, mit Alison zu reden. Wenn sie mir eine plausible Erklärung für die Vorgänge liefern konnte, würde ich die Angelegenheit als erledigt betrachten. Wenn nicht, musste ich darauf bestehen, dass sie auszog.
Bevor ich es mir noch einmal anders überlegen konnte, marschierte ich ums Haus herum zum Gartenhäuschen und klopfte entschlossen an die Tür. Doch im selben Moment besann ich mich eines Besseren. Ich handelte überhastet, tollkühn und naiv. Ich sollte zumindest irgendjemanden in meine Sorgen einweihen. Wenn schon nicht die Polizei, dann
vielleicht Josh oder eine Arbeitskollegin. Nur dass Josh verreist war und meine Kolleginnen schon genug eigene Probleme hatten, mit denen sie sich herumschlagen mussten. Außerdem war es Weihnachten, und ich dachte an all die wunderschönen Geschenke, die Alison mir gemacht hatte, das Gemälde und die Kopfvase. Der Weihnachtstag schien kaum der passende Zeitpunkt, sie finsterer Pläne und ruchloser Absichten zu beschuldigen.
Ruchlos , hörte ich sie sagen. Gutes Wort .
Es blieb noch reichlich Zeit, sie mit meinem Verdacht zu konfrontieren, dachte ich mir und wandte mich zum Gehen.
»Es ist offen«, rief Lance von drinnen.
Zögernd stieß ich die Tür auf. Welche andere
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