Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Haut wirkte fahl und kränklich, doch sonst sah er aus wie früher. Hätte er nicht längst pensioniert sein sollen? Nie im Leben hatte Böttger geglaubt, ihn hier anzutreffen.
Harald Hochbohm packte ihn an den Schultern. »Lass dich ansehen, alter Junge. Du hast dich kaum verändert.«
»Ich bin fett geworden, wolltest du sagen«, meinte Böttger mit einem Lächeln.
»Und ich bin eine alte Vogelscheuche geworden. Was soll’s. Der Zahn der Zeit. In einem Jahr verschwinde ich, dann mach ich’s mir auf meinem Altenteil gemütlich.« Er betrachtete ihn zufrieden. »Als ich gehört habe, dass sie dich hierher zurückholen, konnte ich es kaum glauben. Außer mir ist keiner der Alten mehr da, aber wir haben ein gutes Team. Gute Leute, du wirst sie mögen.«
»Davon bin ich überzeugt.«
Harald Hochbohm klärte den Pförtner kurz auf und führte seinen alten Kollegen durch die Schleuse ins Innere. Wieder der vertraute Geruch. Böttger erinnerte sich an die Jahre, die er hier verbracht hatte. Eine gute Zeit. Doch als sie ihn nach Köln geholt hatten, wäre er trotzdem nie im Leben auf die Idee gekommen, je wieder zurückzukehren.
Während sie durchs Treppenhaus nach oben gingen, plauderten sie über alte Zeiten. Böttger blieb nicht verborgen, dass sich Harald Hochbohm beim Aufstieg mit der Hand am Geländer festklammerte, als hätte er Angst zu stürzen.
»Wie geht es deinen Kindern?«, fragte Hochbohm. »Die müssten inzwischen … warte mal …«
»Lara ist fünfundzwanzig. Sie macht in London ihren Wirtschaftsabschluss. Und Max ist zweiundzwanzig und studiert in Münster Kunstgeschichte.«
»Meine Herren. Aus denen ist ja richtig was geworden. So alt schon. Ich weiß noch, wie sie … aber lassen wir das.« Er stieß einen leisen Seufzer aus, als sie das zweite Stockwerk erreicht hatten, und öffnete die Glastür zum Flur. »Du musst mächtig stolz auf sie sein. Und wie hieß deine Frau noch? Sag nichts! Bärbel! Gefällt es ihr hier? Wäre sie nicht lieber in Köln geblieben?«
»Sie ist Westfälin. Es hat ihr genauso gefehlt wie mir. Sie ist auch froh, nach Hause zu kommen.«
Böttger sah auf die Uhr. Der Kriminaloberrat wartete sicher bereits auf ihn.
»Wie ist er so, der Chef?«, fragte er.
»Brüse? Er leistet gute Arbeit, keine Frage. Du wirst mit ihm klarkommen.«
Böttger betrachtete ihn forschend, doch Harald lächelte nur und schlug ihm auf die Schulter.
»Sein Büro ist dort vorne. Wir sehen uns dann gleich bei der Dienstbesprechung? Die anderen sind schon ganz neugierig auf dich. Der Raum ist am Ende des Flurs, die Tür steht offen.«
»Na gut. Dann bis gleich.«
Harald ging mit einem leichten Hinken davon, und Böttger wandte sich zur Tür des Kriminaloberrats, klopfte und trat ein. Brüse saß am Schreibtisch und ging Unterlagen durch. Ein drahtiger, gut aussehender Enddreißiger mit Anzug und Krawatte. An der Hand einen protzigen Siegelring. Er sah kurz auf und bat ihn mit einer Kopfbewegung hinein.
Der Regen schlug wütend gegen seine Bürofenster. In der Ecke stand ein kleiner Fernseher. Stumme Bilder von Feuerwehreinsätzen in überschwemmten Ortschaften flimmerten über den Bildschirm. Brüse ließ ihn warten, bis er eine Unterschrift unter ein Dokument gesetzt hatte.
»Sie sind also Jens Böttger«, stellte er fest. »Willkommen in Bielefeld. Ich führe Sie gleich ein bisschen rum.«
Dann nahm er den Telefonhörer und gab seiner Sekretärin ein paar Dinge durch, die sie für ihn erledigen sollte. Böttger wartete. Brüse hatte es offenbar nötig, die hierarischen Unterschiede deutlich zu signalisieren. Er fragte sich, ob das nur an seinem Alter lag oder ob mehr dahinter steckte. Wahrscheinlich Letzteres.
Brüse legte auf und ließ sich in seinen Schreibtischsessel sinken. »Sie haben ja in Köln mächtig Eindruck gemacht«, sagte er. »Man hat sie allerwärmstens empfohlen.«
»Ich habe meine Arbeit gemacht. Freut mich, wenn das gesehen wurde.«
»Ihre Arbeit gemacht … das ist wohl ein bisschen untertrieben. Dieter Brinkmann meinte, wir wären verrückt, wenn wir Sie nicht sofort nehmen.«
Ja, das hörte sich sehr nach Dieter an, seinem alten Chef in Köln. Böttger hatte bislang kaum als Leitender Ermittler gearbeitet, aber das hatte Dieter offenbar etwas großzügiger ausgelegt. Er hatte ihn natürlich über den grünen Klee gelobt.
»Ich trau dir das zu, Jens, keine Frage«, hatte er gesagt, als die Stelle des Leitenden Ermittlers in Bielefeld ausgeschrieben worden war.
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