Schlafende Geister
Sie mich, dass ich die Speicherkarte einstecke, ehe ich gehe. Ich werde sie Cal geben, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.«
Ada stand auf. »Was haben Sie jetzt vor?«
»Weiß ich noch nicht. Haben Sie die Werkstatt wegen der kaputten Autoscheibe erreicht?«
Sie nickte. »Die haben gemeint, sie schicken sofort jemanden los.«
»Sofort nach Werkstattzeit?«
»Nehme ich an.«
»Was heißt das in Echtzeit?«
»Wahrscheinlich in etwa zwei Stunden.«
»Ja«, sagte ich und unterdrückte ein Gähnen.
»Warum gehen Sie nicht eine Weile nach Hause?«, meinte Ada fürsorglich. »Legen Sie sich in die Badewanne, ziehen Sie sich um … ruhen Sie sich aus. Es macht mir nichts aus, den Rest des Tages hierzubleiben.«
»Sicher?«
Sie nickte. »Ich bestell Ihnen ein Taxi.«
»Sie sind ein Engel, Ada.«
»Ich weiß.« Sie sah mich an und wurde plötzlich ganz ernst. »Alles in Ordnung mit Ihnen, John? Ich meine, Sie wissen schon … innerlich, ganz allgemein. Alles okay?«
»Ja … mir geht’s gut.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Sie sah mich lange an und suchte in meinen Augen nach der Wahrheit, dann streckte sie mit einem Nicken, das alles andere als überzeugt wirkte, die Hand aus, nahm vorsichtig mein Kinn und schob es zurecht, um die Schwellung im Gesicht besser sehen zu können.
»Sie müssen Eis drauflegen, wenn Sie nach Hause kommen«, sagte sie. »Haben Sie in Ihrer Bruchbude Eis?«
»Es ist keine Bruchbude .«
»Legen Sie ein paar Eiswürfel in ein Handtuch oder einen Waschlappen und halten Sie sich das Zeug aufs Gesicht. Das sollte helfen, dass die Schwellung zurückgeht. Alles klar?«
»Ja, danke.«
Sie sah mich wieder an, mit echter Besorgnis im Blick, und sagte schließlich: »Ich geh dann mal und ruf Ihnen ein Taxi.«
Mein Haus – oder meine Bruchbude, wie Ada es gern nennt – liegt in einer Straße mit Reihenhäusern im Süden der Stadt. Ursprünglich war es ein Arbeiterhaus, so wie alle in der Paxman Street, gebaut vor mehr als einem Jahrhundert von den Besitzern der benachbarten Maschinenfabrik, um die Arbeiter unterzubringen. Hundert Jahre oder länger haben die Steine des Hauses den Rauch der Fabrik auf der anderen Seite der Straße eingeatmet, und an heißen Tagen oder wenn ein Gewitter kommt, geben die Wände immer noch einen leichten Ölgeruch ab. Manchmal, mitten in der Nacht, glaube ich auch die erschöpfte Haut der Fabrikarbeiter riechen zu können, die hier einmal gewohnt haben. Ich stelle sie mir als kleine, düstere, melancholische Menschen mit verrußten Gesichtern und müden, verbitterten Augen vor … und wenn ich im Bett liege und ihrem unwirklichen Geflüster lausche, frage ich mich, ob sie jetzt glücklicher sind, in ihren Totenträumen, als sie es in ihrem mühsamen Leben waren.
Es ist nichts Besonderes, mein Haus – oben, unten, zwei getrennte Wohnungen, ein kleiner Garten hinten und ein noch kleinerer Vorgarten –, aber es gehört mir, wozu das auch immer gut sein mag, und ich fühle mich sicher und wohl in der Geborgenheit seiner fleckigen Wände.
Ich lebe allein.
Aber ich bin nicht allein.
Als meine Mutter 1997 starb, hinterließ sie mir sowohl das Haus der Familie – in dem ich geboren und aufgewachsen bin – als auch das Haus in der Paxman Street, das sie mit meinem Vater ein paar Jahre zuvor als Geldanlage gekauft hatte, um es zu vermieten. Als sie starb, gab es nur eine Mieterin im Haus, eine junge Frau namens Bridget Moran, die oben wohnte, und da ich mich bereits entschieden hatte, das Familienhaus zu verkaufen und mit dem Geld meine eigene Detektei zu gründen, schien es nur logisch und praktisch, in die untere Wohnung zu ziehen.
Also hatte ich es getan.
Und nun wohne ich immer noch dort.
Genauso wie Bridget Moran.
Gerade als mich das Taxi vor dem Haus absetzte, kam Bridget heraus und ich war einen Moment bestürzt, dass sie ihre schulterlangen kastanienbraunen Haare hatte abschneiden lassen und jetzt stolz mit einer jungenhaften wasserstoffblonden Kurzhaarfrisur herumlief. Der Schock lag nur zum Teil daran, wie anders – und wie toll – sie mit dem neuen Haarschnitt aussah. Der Hauptgrund, das, was einen Moment lang mein Herz aussetzen ließ und mein Inneres nach außen kehrte, war, dass Stacy exakt den gleichen Haarschnitt getragen hatte – kurz, blond, pfiffig abstehend –, und für einen Augenblick, als ich Bridget aus dem Haus kommen sah …
Der Augenblick ging schnell vorbei.
Bridget war mit ihrem Freund zusammen, einem geistlosen
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