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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Hohleiter
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Koreaner legen wenig Wert auf gute Tischmanieren, aber viel Wert auf Trinketikette.
     Als Joes Mutter mich aufforderte, mit ihr zu trinken, kam ich ihrem Wunsch nach und schenkte ihr wie vorgeschrieben fleißig
     nach. Sie war schon heiterer Laune, als meine Mutter mich auf dem Handy anrief. Der Anruf aus Deutschland und die Tatsache,
     dass ich plötzlich deutsch sprach, faszinierten Joes Mutter.
    Nachdem ich aufgelegt hatte, fragte sie mich, wie oft ich mit meiner Mutter telefonierte. »Fast jeden Tag«, sagte ich. Sie
     kniff mich in die Wangen – so wie es ältere Damen gerne bei Kleinkindern machen – und sagte: »Gutes Kind! Telefonierst so
     oft mit deiner Mama!«
    Im Laufe der feuchtfröhlichen Geburtstagsfeier wurden wir alle zunehmend angeheitert. In meinem Fall profitierten meine Kommunikationsfähigkeiten
     davon, denn leicht angetrunken sprach ich ein wesentlich flüssigeres Koreanisch als in nüchternem Zustand. Zuerst leerten
     wir eine Flasche Whisky und dann schenkte Joes Schwager den gesamten Inhalt seiner Hausbar aus. Als wir gingen, wusste niemand
     mehr, wie viel wir tatsächlich getrunken hatten.
    Von diesem Tag an hatte ich keine Probleme mehr mit Joes Mutter.

|147| Seoul – die Stadt, die niemals schläft
    Schlaflosigkeit ist für mich in Seoul nahezu ein Dauerzustand. Manchmal gibt es für meine Schlaflosigkeit logische Erklärungen
     wie Jetlag. Angeblich ist der Jetlag schlimmer, wenn man in West-Ost-Richtung reist als umgekehrt. Meiner Meinung nach stimmt
     diese Regel. Jedes Mal, wenn ich aus Deutschland nach Korea zurückkomme, leide ich tage- und nächtelang unter Jetlag. Wenn
     ich von Korea nach Deutschland reise, habe ich keine Probleme. Sheila dagegen klagte über Jetlag bei jedem Kanadabesuch. Zurück
     in Seoul gewöhnte sie sich schnell wieder an die koreanische Zeit.
    Aber auch wenn ich keinen Langstreckenflug hinter mir habe, schlafe ich in Seoul immer schlecht. In koreanischen Häusern sind
     die Wände dünn. Man kann jedes Geräusch aus der Nachbarwohnung hören. Als ich noch mit Sheila zusammenwohnte, hatten wir Glück,
     weil wir unseren Geräuschpegel aufeinander abgestimmt hatten und außer uns nur zwei sehr stille Japanerinnen in unserem heruntergekommenen
     Einfamilienhaus wohnten. Später, als ich alleine in dem winzigen möblierten Zimmer und dann in einer Einzimmerwohnung lebte,
     wusste ich meine erste Bleibe richtig zu schätzen. Die Absenz von Nachbarn ist zumindest in Seoul ein Luxus, in dessen Genuss
     nur die wenigsten kommen.
    Die von Friedrich Torberg literarisch verewigte Tante Jolesch sagte: »Ein Gast ist ein Tier!« In diesem Sinne dachte ich mir
     oft, Nachbarn sind wie Tiere – oder eigentlich noch schlimmer. Nachts hörte ich zwar oft die Straßenkatzen miauen, aber in |148| diesen Fällen war mein Mitleid größer als mein Ärger über die Ruhestörung. Katzen sind unter allen Lebewesen in Korea die
     elendesten Kreaturen. Die Straßenkatzen leiden nicht nur unter Hunger und widrigen Witterungsbedingungen, sondern auch unter
     der unendlichen Feindseligkeit, die ihnen von menschlicher Seite entgegengebracht wird. Koreaner halten Katzen für dämonische
     Wesen, die kein bisschen Mitleid verdienen. Straßenkatzen in Seoul werden von Menschen gejagt, gequält und getötet.
    Meine Nachbarn, die sich über mich aufregten, weil ich die Katzen vor unserem Haus fütterte, waren die eigentlichen Ruhestörer,
     nicht die Katzen. Dass ein Hausbewohner nachts volltrunken nach Hause kam, war eher die Regel als die Ausnahme. Es kam vor,
     dass ein Betrunkener sich lauthals singend auf den Weg in seine Wohnung machte, immer noch singend auf dem Korridor verweilte
     und in seiner Wohnung mit ungebrochener Lautstärke weitersang – was ich durch die dünnen Wände natürlich hören konnte. Oder
     die Dame in der Wohnung am anderen Ende des Korridors sperrte ihren Mann aus, der dann auf dem Flur herumschrie – bis sie
     ihn wieder in die Wohnung ließ. Dort stritten sie lautstark weiter und manchmal hatte ich Angst, dass sie sich gegenseitig
     umbringen würden.
    Verhielten sich die Hausbewohner einigermaßen ruhig, randalierte oder lärmte bestimmt irgendein Betrunkener unten auf der
     Straße, der aus dem Billardklub im Untergeschoss oder aus einer der nahe gelegenen Kneipen kam. Selbst bei geschlossenem Fenster
     konnte man den Krach deutlich hören.
    Korea ist ein Land der Hochhäuser. Kaum jemand lebt in Einfamilienhäusern. Das negative Image, das

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