Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
wirkte.
    Obwohl der Regen konstant auf das Dach prasselte, war es in dem Apartment zu still, und die Luft schien nach zu vielen schlaflosen Nächten zu riechen. Ralph holte
einen Stuhl vom Küchentisch zum Tresen, stellte sich darauf und suchte die Decke des Schränkchens gleich neben der Spüle ab. Es war, als hätte er erwartet, eine andere Dose Bodyguard dort zu finden - die ursprüngliche Dose, die er dort versteckt hatte, nachdem Helen und ihre Freundin Gretchen gegangen waren -, und ein Teil von ihm erwartete das tatsächlich. Aber er fand nichts da oben, außer einem Zahnstocher, einer alten Sicherung Marke Buss und einer Menge Staub.
    Vorsichtig stieg er von dem Stuhl herunter, sah die schmutzigen Fußabdrücke, die er auf dem Polster hinterlassen hatte, und wischte sie mit einigen Küchentüchern ab. Dann stellte er den Stuhl an den Tisch zurück und ging ins Wohnzimmer. Dort blieb er stehen und ließ den Blick von der Couch mit ihrem schäbigen Blumenmusterbezug über den Ohrensessel zu dem alten Fernseher wandern, der auf seinem Eichentisch zwischen den beiden Fenstern zur Harris Avenue stand. Vom Fernseher wanderte sein Blick in die gegenüberliegende Ecke. Als er gestern sein Apartment betreten hatte, noch etwas nervös, weil die Verandatür offen gewesen war, hatte er seine Jacke, die am Kleiderständer in dieser Ecke hing, kurz für einen Eindringling gehalten. Nun, er konnte die Dinge getrost beim Namen nennen; er hatte einen Augenblick geglaubt, Ed hätte beschlossen, ihm einen Besuch abzustatten.
    Ich hänge meine Jacke niemals auf. Das war eine Angewohnheit von mir - eine der wenigen, glaube ich -, die Carolyn immer richtig auf die Palme gebracht hat. Und da ich mir zu ihren Lebzeiten nie angewöhnen konnte, sie aufzuhängen, dann mit absoluter Sicherheit auch nicht
nach ihrem Tod. Nein, ich war nicht derjenige, der diese Jacke aufgehängt hat.
    Ralph ging durch das Zimmer, kramte in den Taschen der grauen Lederjacke und legte alles, was er fand, auf den Fernseher. In der linken fand er nichts außer einer alten Rolle Life Savers-Kaubonbons - Fusseln klebten am obersten -, aber die rechte erwies sich als wahre Fundgrube, auch wenn die Spraydose nicht mehr darin war. Ein Zitronen-Tootsie-Pop-Lutscher, noch eingewickelt; ein zerknitterter Werbezettel vom Derry House of Pizza; eine AA-Batterie; ein kleiner leerer Pappkarton, in dem einmal ein Stück Apfelkuchen von McDonalds gewesen war; seine Rabattkarte von Dave’s Video Stop, in der nur noch vier Lochungen fehlten, um einen Film gratis ausleihen zu können (die Karte vermisste Ralph schon seit über zwei Wochen, und er war sich sicher gewesen, dass er sie verloren hatte); ein Streichholzbriefchen; mehrere Fetzen Alufolie … und ein zusammengefaltetes Blatt liniertes, blaues Papier.
    Ralph faltete es auseinander und las den einen Satz, der mit der krakeligen, etwas unsicheren Schrift eines alten Mannes geschrieben worden war: Was ich auch tue, ich tue es rasch, damit ich etwas anderes tun kann.
    Das war alles, aber es reichte aus, seinem Hirn zu bestätigen, was sein Herz bereits wusste: Dorrance Marstellar hatte auf der Veranda gewartet, als Ralph mit seinen Taschenbüchern von Back Pages zurückgekommen war, aber er hatte noch etwas anderes erledigt, bevor er sich dort niedergelassen hatte. Er war in Ralphs Wohnung gegangen, hatte die Sprühdose vom Küchenschrank genommen und sie in die rechte Tasche von Ralphs alter grauer
Jacke gesteckt. Er hatte sogar seine Visitenkarte hinterlassen: eine Zeile aus einem Gedicht auf einem Blatt Papier, das er wahrscheinlich aus dem alten, zerfledderten Notizbuch gerissen hatte, in das er manchmal Ankunfts- und Abflugzeiten auf Rollbahn 3 schrieb. Statt die Jacke dorthin zu legen, wo Ralph sie hingeworfen hatte, hatte der alte Dor sie ordentlich an den Kleiderständer gehängt. Danach
    (Geschehenes lässt sich nicht mehr ungeschehen machen)
    ging er wieder auf die Veranda hinunter und wartete.
    Gestern Abend hatte Ralph mit McGovern geschimpft, weil der die Eingangstür wieder offen gelassen hatte, und McGovern hatte es so geduldig über sich ergehen lassen, so wie Ralph Carolyns Schelte über sich hatte ergehen lassen, wenn er beim Nachhausekommen die Jacke auf den nächstbesten Stuhl warf, statt sie an den Kleiderständer zu hängen. Aber jetzt fragte sich Ralph, ob er Bill nicht möglicherweise zu Unrecht Vorwürfe gemacht hatte. Vielleicht hatte der alte Dor das Schloss geknackt … oder aufgezaubert.

Weitere Kostenlose Bücher