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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Gelegenheit dazu hatte, würde ihn das Glück vielleicht für immer verlassen.
    Aber es ertönten keine Rufe mehr. Er wollte sich umdrehen, um nachzusehen, wo McGovern abgeblieben war, besann sich aber eines Besseren. Wenn er sah, dass Ralph sich umdrehte, legte er vielleicht von vorn los. Am besten war es, einfach weiterzugehen. Also machte er größere Schritte, ging, ohne darüber nachzudenken, wieder in Richtung
Flughafen, schritt mit gesenktem Kopf aus und versuchte, nicht das unbarmherzige Klavier zu hören, nicht die alten Kinder zur Kenntnis zu nehmen, die um die Stühle herumspazierten, nicht die ängstlichen Augen über ihrem vorgeschützten Lächeln zu sehen.
    Beim Gehen erkannte er, dass seine Hoffnung nicht erfüllt worden war. Er war doch in den Tunnel gestoßen worden, und die Dunkelheit umgab ihn auf allen Seiten.

ZWEITER TEIL
    Die geheime Stadt
    Alte Männer müssten Forscher sein.
    T. S. ELLIOT
    Four Quartets

Kapitel 11

1
    Das Derry der Altsemester war nicht die einzige geheime Stadt, die unauffällig innerhalb des Ortes existierte, den Ralph Roberts immer als seine Heimat betrachtet hatte; als Junge, der in Mary Mead aufgewachsen war, wo heute die verschiedenen Old-Cape-Cod-Häuserkomplexe standen, hatte Ralph herausgefunden, dass es neben dem Derry der Erwachsenen ein Derry gab, das ausschließlich den Kindern gehörte. Da waren die verlassenen Wanderarbeiter-Dschungel beim Eisenbahndepot in der Nähe der Neibolt Street, wo man manchmal Tomatensuppendosen finden konnte, die halb mit Mulligatawny-Hühnercurry-Eintopf gefüllt waren, und Flaschen mit noch einem oder zwei Schluck Bier darin; da war die Gasse hinter dem Aladdin Theater, wo Zigaretten Marke Bull Durham geraucht und manchmal Black Cat Kracher gezündet wurden; da war die große alte Ulme, die über den Fluss hing, wo Dutzende Mädchen und Jungs den Kopfsprung ins Wasser gelernt hatten; da waren die hundert (wahrscheinlich eher zweihundert) verschlungenen Pfade, die durch die Barrens führten, ein zugewachsenes Tal, das sich durch die Stadtmitte erstreckte wie eine schlecht verheilte Narbe.
    Diese geheimen Straßen und versteckten Highways lagen allesamt unter der Wahrnehmungsebene der Erwachsenen
und wurden infolgedessen von ihnen übersehen … aber es hatte Ausnahmen gegeben. Eine war ein Polizist namens Aloysius Nell gewesen - für Generationen Kinder von Derry nur Mr. Nell -, und erst jetzt, als er zum Picknickplatz in der Nähe der Stelle ging, wo die Harris Avenue zur Harris Avenue Extension wurde, überlegte sich Ralph, dass Chris Nell wahrscheinlich der Sohn des alten Mr. Nell war … aber das konnte nicht ganz stimmen, denn der Polizist, den Ralph zum ersten Mal in Begleitung von John Leydecker gesehen hatte, war nicht alt genug, dass er der Sohn des alten Mr. Nell sein konnte. Eher sein Enkel.
    Nach seiner Pension war Ralph eine zweite geheime Stadt aufgefallen - eine, die den alten Leuten gehörte -, aber erst nach Carols Tod war ihm wirklich bewusst geworden, dass auch er zu deren Einwohnern gehörte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er eine versunkene Geografie entdeckt, die unheimliche Ähnlichkeit mit jener aus seiner Kindheit hatte, ein Ort, welcher von der Schnell-zur-Arbeit-Schnell-zum-Spiel-Welt, die geschäftig ringsum brodelte, weitgehend ignoriert wurde. Das Derry der Altsemester überlappte noch eine dritte geheime Stadt: das Derry der Verdammten, ein grässlicher Ort, der hauptsächlich von Pennern, Ausreißern und Irren bewohnt wurde, die man nicht einsperren konnte.
    Auf dem Picknickgelände hatte Lafayette Chapin Ralph mit einer der wichtigsten Überlegungen des Lebens vertraut gemacht … das heißt, nachdem man selbst ein redlicher bona fide Altsemester geworden war. Diese Überlegung betraf das »wirkliche Leben«. Das Thema war zur Sprache gekommen, als die beiden Männer sich gerade
kennengelernt hatten. Ralph hatte Faye gefragt, was er gemacht hätte, bevor er mit seinen Ausflügen zu dem Picknickgelände begann.
    »Nun, in meinem wirklichen Leben war ich Zimmermann und Tischler«, hatte Chapin geantwortet und seine verbliebenen Zähne zu einem breiten Grinsen entblößt, »aber das alles ist seit fast zehn Jahren zu Ende.« Das klingt, hatte Ralph gedacht, wie er sich noch genau erinnerte, als wäre die Pensionierung eine Art Vampirkuss, der diejenigen, die ihn überlebten, in die Welt der Untoten zog. Und wenn man es genauer überlegte, war das wirklich so weit von der Wahrheit entfernt?

2
    Nachdem er

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