Schlaflos - Insomnia
ist die blanke Unwissenheit«, sagte Pedersen. »Und wenn du nicht begreifst …«
»Aber Onan wurde nicht wegen Masturbation bestraft«, sagte Dorrance mit seiner hohen, durchdringenden Altmännerstimme. »Er wurde bestraft, weil er sich weigerte, die Witwe seines Bruders zu schwängern, damit das Geschlecht seines Bruders fortbestehen konnte. Es gibt ein Gedicht, von Allen Ginsberg, glaube ich …«
»Halt den Mund, du alter Narr!«, schrie Pedersen und sah dann Faye Chapin wütend an. »Und wenn du nicht begreifst, dass es etwas völlig anderes ist, ob ein Mann seine Nudel walkt oder eine Frau das Baby im Klo runterspült, das Gott in sie gepflanzt hat, dann bist du ein so großer Narr wie er.«
»Das ist eine ekelhafte Unterhaltung«, sagte Lisa Zell, klang allerdings mehr fasziniert als angeekelt. Ralph sah über ihre Schulter und stellte fest, dass ein Stück des Maschendrahtzauns von einem Pfosten abgerissen und nach hinten gebogen worden war, wahrscheinlich von den Jugendlichen, die den Platz nachts für sich beanspruchten. Damit war immerhin ein Rätsel gelöst. Er hatte Dorrance
nicht bemerkt, weil der alte Mann sich überhaupt nicht auf dem Picknickplatz aufgehalten hatte; er war auf dem Gelände des Flughafens herumgelaufen.
Ralph kam der Gedanke, dass das seine Chance war, sich Dorrance zu schnappen und ihn zur Rede zu stellen … nur würde er hinterher wahrscheinlich verwirrter sein als vorher. Der alte Dor glich zu sehr der Grinse-Katze aus Alice im Wunderland - mehr Lächeln als Substanz.
»Großer Unterschied, hm?«, wandte sich Faye an Pedersen.
»Klar!« Rote Flecken leuchteten auf Pedersens rissigen Wangen.
Doc Mulhare rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. »Hört zu, vergessen wir es einfach und spielen weiter, Faye, einverstanden?«
Faye beachtete ihn gar nicht; seine Aufmerksamkeit galt immer noch Pedersen. »Vielleicht solltest du noch mal über die vielen kleinen Spermien nachdenken, die jedes Mal auf deiner Handfläche gestorben sind, wenn du auf dem Klo gesessen und daran gedacht hast, wie schön es wäre, wenn dir Marilyn Monroe einen blasen …«
Pedersen streckte die Hand aus und fegte die restlichen Figuren vom Schachbrett. Doc Mulhare zuckte zurück, sein Mund zitterte, die Augen hinter der an zwei Stellen mit Isolierband geklebten Brille mit dem rosa Gestell waren groß und ängstlich.
»Ja, gut!«, brüllte Faye. »Das ist wirklich ein überzeugendes, vernünftiges Argument, du Idiot!«
Pedersen hob die Fäuste zu einer übertriebenen John L. Sullivan-Pose. »Willst du was dagegen unternehmen?«, fragte er. »Los doch, fangen wir an!«
Faye stand langsam auf. Er war gut einen Kopf größer als der flachgesichtige Pedersen und mindestens sechzig Pfund schwerer.
Ralph traute seinen Augen nicht. Und wenn das Gift schon so weit vorgedrungen war, wie musste es im Rest der Stadt aussehen? Er fand, dass Doc Mulhare recht hatte; Susan Day konnte nicht die geringste Ahnung haben, wie schlecht es war, ihre Ansprache in Derry zu halten. In mancher Hinsicht - sogar in vielerlei Hinsicht - war Derry nicht wie andere Städte.
Er bewegte sich, bevor er sich überlegte, was er vorhatte, war aber erleichtert, als er Stan Eberly dasselbe tun sah. Sie wechselten einen Blick, als sie sich den beiden Männern näherten, die Nase an Nase standen, und Stan nickte unmerklich. Ralph legte einen Arm um Fayes Schultern, kurz bevor Stan den linken Oberarm von Pedersen packte.
»Das werdet ihr schön bleiben lassen«, sagte Stan direkt in eines von Pedersens haarigen Ohren. »Sonst landet ihr beide sicherlich noch mit einem Herzanfall drüben im Derry Home, und du kannst keinen mehr brauchen, Harley - du hast schon zwei gehabt. Oder waren es drei?«
»Ich werd nicht zulassen, dass er Witze über Frauen macht, die Babys ermorden!«, sagte Pedersen, und Ralph sah, wie ihm Tränen über die Wangen liefen. »Meine Frau ist gestorben, als sie unsere zweite Tochter bekam! 1946 ist sie an Blutvergiftung gestorben! Darum dulde ich dieses Geschwätz über Babymord nicht!«
»Herrgott«, sagte Faye mit veränderter Stimme. »Das wusste ich nicht, Harley. Es tut mir leid …«
»Ach, ich scheiße auf dein ›tut mir leid‹!«, schrie Pedersen und riss den Arm aus Stan Eberlys Griff. Er stürzte sich auf Faye, der die Fäuste hob und wieder sinken ließ, als Pedersen davonstapfte, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Er nahm den Pfad zwischen den Bäumen entlang, der zur Extension führte, und
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