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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zurückschreckt. »Bäh«, sagte sie. »Tu das weg.«
    »Wenn du versprichst, mir zu sagen, was passiert ist.«
    »Alles, wenn du ihn nur wegnimmst.«
    Er gehorchte. Eine Zeit lang sagte Lois nichts, sondern saß nur da und sah zu, wie ihre Hände sich unablässig am Verschluss der Handtasche zu schaffen machten. Er wollte sie schon drängen, als sie mit einem erbarmenswert trotzigen Ausdruck zu ihm aufsah.
    »Zufällig bist du nicht der Einzige , der nachts nicht mehr anständig schlafen kann, Ralph.«
    »Wovon redest d…«
    »Schlaflosigkeit!«, sagte sie schnippisch. »Ich gehe zur selben Zeit schlafen wie immer, aber ich kann nicht mehr durchschlafen. Und das ist noch nicht das Schlimmste. Es scheint, als würde ich jeden Morgen früher aufwachen.«

    Ralph versuchte sich zu erinnern, ob er Lois von diesem speziellen Aspekt seines Problems erzählt hatte. Er glaubte nicht.
    »Warum siehst du so überrascht aus?«, fragte Lois. »Du hast doch nicht geglaubt, dass du der einzige Mensch auf der Welt bist, der jemals eine schlaflose Nacht hatte, oder?«
    »Selbstverständlich nicht!«, antwortete Ralph etwas gekränkt … aber war es ihm nicht manchmal doch so vorgekommen, als wäre er der Einzige auf der Welt, der an dieser speziellen Form von Schlaflosigkeit litt? Der hilflos mit ansehen musste, wie seine Schlafzeit langsam Minute um Minute, Viertelstunde um Viertelstunde zusammenschmolz? Wie eine unheimliche Variante der chinesischen Wasserfolter.
    »Wann hat es bei dir angefangen?«, fragte er.
    »Einen Monat oder zwei vor Carols Tod.«
    »Wie viel Schlaf bekommst du?«
    »Seit Anfang Oktober kaum noch eine Stunde pro Nacht.« Ihre Stimme war ruhig, aber Ralph hörte das Zittern von etwas, das Panik sein konnte, dicht unter der Oberfläche. »Wenn es so weitergeht, werde ich bis Weihnachten gar nicht mehr schlafen, und wenn das passiert, weiß ich nicht, wie ich es durchstehen soll. Ich kann es jetzt schon fast nicht mehr ertragen.«
    Ralph suchte nach Worten und stellte die erste Frage, die ihm in den Sinn kam: »Wie kommt es, dass ich nie Licht bei dir sehe?«
    »Aus demselben Grund, weshalb ich deins fast nie sehe, denke ich«, sagte sie. »Ich wohne seit fünfunddreißig Jahren in dem Haus und brauche kein Licht, um mich zurechtzufinden. Außerdem behalte ich meine Probleme gern
für mich. Wenn man um zwei Uhr nachts das Licht einschaltet, sieht es früher oder später jemand … Es spricht sich herum, und dann fangen die Naseweise an, Fragen zu stellen. Ich kann neugierige Fragen nicht ausstehen, und ich gehöre nicht zu den Leuten, die jedes Mal in der Zeitung annoncieren müssen, wenn sie ein wenig Verstopfung haben.«
    Ralph lachte laut auf. Lois sah ihn einen Moment mit perplexen, runden Augen an, dann stimmte sie ein. Er hatte den Arm immer noch um sie gelegt (oder hatte er sich von selbst wieder dorthin geschlichen, nachdem er ihn zunächst weggenommen hatte? Ralph wusste es nicht, und es war ihm eigentlich auch egal), und nun drückte er sie fest an sich. Diesmal schmiegte sie sich unbekümmert an ihn; die steifen kleinen Drähte waren aus ihrem Körper verschwunden. Ralph war froh darüber.
    »Du lachst mich doch nicht aus, Ralph, oder?«
    »Nee. Ganz sicherlich nicht.«
    Sie nickte immer noch lächelnd. » Dann ist es gut. Du hast nie gesehen, wie ich in meinem Wohnzimmer herumspaziert bin, oder?«
    »Nein.«
    »Das liegt daran, dass keine Straßenlampe vor meinem Haus steht. Aber vor deinem steht eine. Ich habe dich häufig in deinem zerschlissenen alten Ohrensessel gesehen, wie du hinausgesehen und Tee getrunken hast.«
    Ich habe immer angenommen, dass ich der Einzige bin, dachte er, und plötzlich schoss ihm eine Frage durch den Kopf, die komisch und peinlich zugleich war. Wie oft hatte sie ihn gesehen, wie er sich in der Nase bohrte? Oder im Schritt kratzte?

    Entweder las sie seine Gedanken oder zog Rückschlüsse aus der Farbe seiner Wangen, denn Lois sagte: »Ich konnte nicht mehr als deinen Umriss erkennen, weißt du, und du hast immer den Morgenmantel getragen, vollkommen anständig. Also darüber musst du dir keine Gedanken machen. Außerdem hoffe ich, dass du weißt, wenn ich dich je bei etwas gesehen hätte, bei dem du nicht gesehen werden wolltest , dann hätte ich auch nicht hingesehen. Weißt du, ich bin auch nicht gerade in der Scheune großgezogen worden.«
    Er lächelte und tätschelte ihre Hand. »Das weiß ich, Lois. Es ist nur … du weißt schon, eine Überraschung.

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