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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Ein Schmerz wie der Stich einer heißen Chromnadel bohrte sich in seine linke Seite und breitete sich dann über die ganze linke Hälfte seines Brustkorbs aus. Er blieb kurz hinter dem Eingang des Parks stehen, bückte sich an der Kreuzung zweier Wege und stemmte die Hände direkt über den Knien an die Beine. Schweiß lief ihm in die Augen und brannte wie Tränen. Er keuchte abgehackt und fragte sich, ob es sich um ein ganz normales Seitenstechen handeln konnte, wie er es von den letzten Metern des Highschool-Wettlaufs über eine Meile in Erinnerung hatte, oder ob sich so ein tödlicher Herzinfarkt ankündigte.
    Nach dreißig oder vierzig Sekunden ließen die Schmerzen allmählich nach, daher war es vielleicht doch nur ein Seitenstechen gewesen. Aber es stützte McGoverns These nicht unerheblich, oder? Ich will dir was sagen, Ralph - in unserem Alter sind Geisteskrankheiten was ganz Normales! In unserem Alter ist das verdammt noch mal völlig normal! Ralph wusste nicht, ob das stimmte, aber er wusste, die Zeit, als er an All-State-Track-Laufwettkämpfen teilgenommen hatte, lag über ein halbes Jahrhundert zurück, daher war es dumm und wahrscheinlich gefährlich gewesen, einfach so hinter Rosalie herzulaufen. Wenn er einen Herzanfall bekommen hätte, dann wäre er wahrscheinlich nicht der einzige alte Mann gewesen, der mit einer Koronarthrombose dafür bestraft wurde, wenn er sich aufregte und vergaß, dass man die achtzehn für immer überschritten hatte, wenn man sie einmal überschritten hatte.

    Die Schmerzen waren fast abgeklungen, und er kam allmählich wieder zu Atem, aber seine Beine waren immer noch so unzuverlässig weich, dass er das Gefühl hatte, sie könnten an den Knien abknicken und ihn ohne Vorwarnung auf den Kiesboden stürzen lassen. Ralph hob den Kopf, schaute zur nächsten Bank und sah etwas, bei dem er streunende Hunde, wacklige Beine und sogar mögliche Herzanfälle im Handumdrehen vergaß. Die nächste Bank lag vierzig Fuß entfernt den linken Weg entlang auf einem sanft geschwungenen Hügel. Lois Chasse saß in ihrem guten blauen Herbstmantel auf dieser Bank. Sie hatte die behandschuhten Hände im Schoß gefaltet und schluchzte, als würde ihr das Herz brechen.

Kapitel 12

1
    »Was hast du, Lois?«
    Sie sah zu ihm auf, und der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf ging, war eine Erinnerung: an ein Theaterstück, das er vor acht oder neun Jahren mit Carolyn im Penobscot Theater in Bangor besucht hatte. Einige der Personen darin waren angeblich tot gewesen, und ihr Make-up bestand aus weißer Clownsschminke mit dunklen Ringen unter den Augen, die den Eindruck riesiger, leerer Augenhöhlen vermitteln sollten.
    Sein zweiter Gedanke war einfacher: Waschbär.
    Sie sah ihm ein paar seiner Gedanken entweder an oder wusste, wie sie aussehen musste, denn sie wandte sich ab, machte sich kurz am Griff ihrer Handtasche zu schaffen und hob dann einfach die Hände, um das Gesicht dahinter zu verbergen.
    »Geh weg, Ralph, ja?«, bat sie mit belegter, erstickter Stimme. »Ich fühle mich heute nicht besonders wohl.«
    Unter normalen Umständen hätte Ralph getan, worum sie ihn gebeten hatte und wäre ohne einen Blick zurückgegangen, ohne mehr als vage Scham darüber zu empfinden, dass er sie hilflos und mit verschmierter Wimperntusche gesehen hatte. Aber dies waren keine normalen Umstände, und Ralph beschloss, dass er nicht gehen würde - jeden-falls
noch nicht. Er verspürte immer noch einen Rest dieser seltsamen Leichtigkeit und wusste, dass die andere Welt, das andere Derry, ganz in der Nähe war. Und da war noch etwas, etwas vollkommen Einfaches und Direktes. Es gefiel ihm nicht, dass Lois, an deren Frohnatur er nie gezweifelt hatte, hier saß und sich die Augen aus dem Kopf heulte.
    »Was ist los, Lois?«
    »Ich fühle mich nur nicht wohl!«, schluchzte sie. »Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?«
    Lois vergrub das Gesicht in den behandschuhten Händen. Ihr Rücken bebte, die Ärmel ihres blauen Mantels zitterten, und Ralph musste plötzlich daran denken, wie Rosalie ausgesehen hatte, als der kleine Arzt ihr befohlen hatte, ihren Arsch in Bewegung zu setzen und zu ihm zu kommen: kläglich, zu Tode geängstigt.
    Ralph setzte sich neben Lois auf die Bank, legte einen Arm um sie und zog sie an sich. Sie folgte, aber steif … als wäre ihr ganzer Körper voller Drähte.
    »Sieh mich nicht an!«, rief sie mit derselben hysterischen Stimme. » Wage es nicht! Mein Make-up ist im Eimer. Ich hatte es extra

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