Schlaflos - Insomnia

hätte sich sogar entschuldigt -, als Jan zurückkam, und da war die du-weißt-schon-was aber richtig am Dampfen. Sie fragte mich, wo meine Diamantohrringe seien, die sie mir zu Weihnachten geschenkt hätten. Das war so ein abrupter Themenwechsel, dass ich zuerst nur stottern konnte, und ich nehme an, es hörte sich an, als wäre ich tatsächlich auf dem besten Weg, senil zu werden. Aber schließlich brachte ich heraus, sie wären in dem kleinen Porzellanteller auf meiner Schlafzimmerkommode, wie immer. Ich habe eine Schmuckschatulle, aber diese Ohrringe und zwei oder drei andere hübsche Stücke lasse ich immer draußen, weil sie so schön sind, dass mich ihr Anblick immer aufmuntert. Außerdem sind es nur Diamantsplitter - es ist nicht so, dass jemand einbrechen würde, nur um sie zu stehlen. Dasselbe gilt für meinen Verlobungsring und meine Elfenbeinkamee, die beiden anderen Stücke, die auf diesem Teller liegen.«
    Lois warf Ralph einen durchdringenden, flehenden Blick zu. Er drückte wieder ihre Hand.
    Sie lächelte und holte tief Luft. »Das ist sehr schwer für mich.«
    »Wenn du aufhören möchtest …«
    »Nein, ich möchte alles erzählen … nur ab einem bestimmten Punkt kann ich mich sowieso nicht mehr erinnern, was passiert ist. Es war alles so grässlich. Weißt du, Janet hat gesagt, sie wüsste , wo ich sie aufbewahre, aber da wären sie nicht. Der Verlobungsring sei da, die Kamee auch, aber nicht die Ohrringe von Weihnachten. Ich ging
selbst nachsehen, und sie hatte recht. Wir haben alles auf den Kopf gestellt, überall nachgesehen, aber wir haben sie nicht gefunden. Sie sind fort .«
    Lois umklammerte Ralphs Hand jetzt mit ihren beiden und schien hauptsächlich mit dem Reißverschluss seiner Jacke zu reden.
    »Wir haben sämtliche Kleidungsstücke aus der Kommode genommen … Harold hat die Kommode selbst von der Wand gezogen und dahinter nachgesehen … unter dem Bett und den Sofakissen … und mir schien jedes Mal, wenn ich Janet ansah, als würde sie mich auch ansehen, mit dieser liebenswürdigen Miene mit den großen Augen. Lieb und zuckersüß - nur in den Augen nicht -, und sie musste nicht laut aussprechen, was sie dachte, weil ich es schon wusste. ›Siehst du? Da siehst du, wie recht Dr. Litchfield hatte, uns anzurufen, und wie recht wir hatten, diesen Termin zu vereinbaren. Und wie starrsinnig du bist. Du gehörst nämlich an einen Ort wie Riverview Estates, und das ist der Beweis. Du hast die hübschen Ohrringe verloren, die wir dir zu Weihnachten geschenkt haben, du leidest an einer ernsten Verschlechterung der Kognition, und das ist der Beweis. Nicht mehr lange, und du wirst den Gasherd anlassen … oder den Badezimmerofen …‹«
    Sie fing wieder an zu weinen, und ihre Tränen versetzten Ralph einen Stich ins Herz - es war das tiefe, reinigende Schluchzen von jemand, der bis ins tiefste Mark seiner Persönlichkeit verletzt worden ist. Lois verbarg das Gesicht an seiner Jacke. Er hielt sie fester im Arm. Lois, dachte er. Unsere Lois. Aber nein; das gefiel ihm nicht mehr, wenn es ihm je gefallen hatte.

    Meine Lois, dachte er, und in diesem Augenblick, als hätte eine höhere Macht es gebilligt, strömte plötzlich wieder Licht in den Tag. Geräusche bekamen eine neue Resonanz. Er sah auf seine und Lois’ Hände hinunter, die sie in seinem Schoß verschränkt hatten, und erblickte einen hübschen blau-grauen Schimmer um sie, die Farbe von Zigarettenrauch. Die Auren waren wieder da.

3
    »Du hättest sie in dem Augenblick rauswerfen sollen, als du gemerkt hast, dass die Ohrringe nicht mehr da sind«, hörte er sich sagen, und jedes einzelne Wort war fein säuberlich getrennt und strahlend einmalig, wie ein kristallener Donnerschlag. »Noch im selben Augenblick.«
    »Oh, das weiß ich jetzt«, sagte Lois. »Sie hat nur darauf gewartet, dass ich in eine Falle stolperte, und selbstverständlich habe ich ihr den Gefallen getan. Aber ich war so durcheinander - zuerst der Streit darüber, dass ich nicht mit ihnen nach Bangor kommen wollte, um mir Riverview Estates anzusehen, dann die Tatsache, dass mein Arzt ihnen Dinge erzählt hatte, die er gar nicht erzählen durfte, und obendrein noch, dass ich eines meiner teuersten Stücke verloren hatte. Und weißt du, was der Gipfel war? Dass ausgerechnet sie den Verlust dieser Ohrringe entdecken musste! Kannst du mir da noch zum Vorwurf machen, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat?«
    »Nein«, sagte er und hob ihre behandschuhten Hände an seinen