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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ihren dunklen Augen an.
    »Ich bin erst achtundsechzig, Ralph. Ich weiß, Dr. Jungbrunnen würde niemals erst sagen, ich aber schon, denn meine Mutter war zweiundneunzig, als sie letztes Jahr gestorben ist, und mein Dad wurde sechsundachtzig. In meiner Familie stirbt man jung, wenn man mit achtzig
stirbt … und wenn ich zwölf Jahre in einem Haus verbringen müsste, wo sie über Lautsprecher zum Essen rufen, würde ich verrückt werden.«
    »Ich auch.«
    »Aber ich habe es mir angesehen. Ich wollte höflich sein. Als ich fertig war, machte ich einen ordentlichen kleinen Stapel und gab ihn Jan zurück. Ich sagte ihr, sie wären sehr interessant, und dankte ihr. Sie nickte und lächelte und steckte sie wieder in die Handtasche. Ich dachte, damit wäre die Sache erledigt, und tschüs, aber dann sagte Harold: ›Zieh den Mantel an, Ma.‹
    Einen Moment hatte ich solche Angst, dass ich keine Luft bekam. Ich dachte, sie hätten mich schon angemeldet! Und ich dachte mir, wenn ich sagen würde, dass ich nicht mitkommen wollte, würde Harold die Tür aufmachen, und draußen würden zwei oder drei Männer in weißen Kitteln stehen, und einer würde lächeln und sagen: ›Keine Bange, Mrs. Chasse; wenn Sie erst einmal die erste Handvoll Pillen direkt in Ihrer Küche bekommen haben, möchten Sie gar nicht mehr anderswo leben.‹
    ›Ich will meinen Mantel nicht anziehen‹, sagte ich zu Harold und versuchte, es so zu sagen wie damals, als er noch zehn war und immer mit schmutzigen Schuhen in die Küche gekommen ist, aber mein Herz schlug so schnell, dass man es in meiner Stimme hören konnte. ›Ich will nicht mehr ausgehen. Ich hatte vergessen, wie viel ich heute zu tun habe.‹ Und da stieß Jan dieses Lachen aus, das ich noch mehr hasse als ihr zuckersüßes Lächeln, und sagte: ›Aber, Mutter Lois, was könntest du zu tun haben, das so wichtig ist, dass du nicht mit uns nach Bangor fahren könntest, nachdem wir uns die Zeit genommen haben
und nach Derry gekommen sind, um dich zu besuchen?‹ Bei dieser Frau stellen sich mir immer die Nackenhaare auf, und ich schätze, umgekehrt ist es genauso. Muss so sein, denn ich habe noch nie eine Frau kennengelernt, die eine andere so oft angelächelt hat, ohne sie aus tiefster Seele zu hassen. Wie auch immer, ich sagte ihr, zuerst einmal müsste ich den Küchenboden schrubben. ›Sieh ihn dir nur an‹, sagte ich. ›Schmutzig wie der Teufel.‹
    ›Ha!‹, sagt Harold. ›Ich kann nicht glauben, dass du uns unverrichteter Dinge in die Stadt zurückschickst, nachdem wir den weiten Weg hierher gekommen sind, Ma.‹
    ›Nun, ich werde da nicht hinziehen, wie weit ihr auch gekommen sein mögt‹, antwortete ich, ›also das könnt ihr euch gleich abschminken. Ich lebe seit fünfunddreißig Jahren in Derry, mein halbes Leben. Meine sämtlichen Freunde sind hier, und ich ziehe nicht weg.‹
    Sie sahen einander an wie die Eltern eines Kindes, das nicht mehr artig ist, sondern nur noch eine Nervensäge. Janet tätschelte mir die Schulter und sagte: ›Nun reg dich nicht auf, Mutter Lois - wir möchten ja nur, dass du es dir ansiehst .‹ Als hätten wir es wieder mit den Broschüren zu tun und ich müsste nur höflich sein. Aber dass sie gesagt hatte, es ginge nur darum, es einmal anzusehen, beruhigte mich dennoch ein wenig. Ich hätte wissen müssen, dass sie mich nicht zwingen können, dort zu wohnen, dass sie es sich nicht einmal leisten können. Sie rechnen damit, dass das Geld von Mr. Chasse dieses Rad dreht - seine Rente und das Geld aus der Eisenbahnversicherung, das ich bekommen habe, weil er bei der Arbeit gestorben ist.
    Wie sich herausstellte, hatten sie einen Termin für elf Uhr vereinbart, und ein Mann sollte mich herumführen und
mir alles zeigen. Als ich das alles begriffen hatte, war die Angst weitgehend verschwunden, aber ich war gekränkt, weil sie mich so von oben herab behandelt haben, und wütend, weil jedes zweite Wort von Janet Urlaubstag hier und Urlaubstag da war. Sie machte ziemlich deutlich, dass sie sich was Besseres vorstellen konnte, als an einem freien Tag nach Derry zu fahren und ihre fette alte Schachtel von einer Schwiegermutter zu besuchen.
    ›Hör auf, dich so zu zieren, und komm mit, Mutter‹, sagte sie nach weiterem Hin und Her, als wäre ich so angetan von der ganzen Idee, dass ich mich nicht entscheiden könnte, welchen Hut ich tragen sollte. ›Zieh den Mantel an. Ich helfe dir mit dem Geschirr, wenn wir wieder zurück sind.‹
    ›Du hast mich

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