Schlaflos - Insomnia
verschwunden, aber das enttäuschte Ralph nicht; im Augenblick interessierte ihn der Duft des Essens mehr. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum
letzten Mal so hungrig gewesen war wie in diesem Augenblick. Er saß auf der obersten Stufe, streckte die langen Schenkel und knochigen Knie auf beiden Seiten von sich aus, wodurch er große Ähnlichkeit mit Ichabod Crane bekam, und begann zu essen. An den ersten Bissen verbrannte er sich Lippen und Zunge, aber statt sich abschrecken zu lassen, aß Ralph nur noch schneller, er schlang beinahe.
Als er den halben Topf Bohnen mit Würstchen verzehrt hatte, ließ er den Löffel sinken. Das Tier in seinem Magen hatte sich nicht wieder schlafen gelegt - noch nicht -, aber es war zumindest ein bisschen besänftigt. Ralph rülpste unbefangen und betrachtete die Harris Avenue mit einem Gefühl der Zufriedenheit, wie er es seit Jahren nicht mehr verspürt hatte. Unter den gegenwärtigen Umständen ergab dieses Gefühl überhaupt keinen Sinn, was aber nicht das Geringste daran änderte. Wann hatte er sich zum letzten Mal so gut gefühlt? Möglicherweise nicht mehr seit dem Morgen, als er irgendwo zwischen Derry, Maine, und Poughkeepsie, New York, in jener Scheune erwacht war und die sich kreuzenden Lichtstrahlen - scheinbar Tausende - gesehen hatte, die den warmen, angenehm duftenden Unterschlupf durchdrangen, wo er sich befand.
Oder möglicherweise noch nie.
Ja, möglicherweise noch nie.
Er sah Mrs. Perrine die Straße entlangkommen, möglicherweise kehrte sie von A Safe Place zurück, der Kombination aus Suppenküche und Obdachlosenasyl unten beim Kanal. Wieder faszinierte Ralph ihr seltsam gleitender Gang, den sie ohne Hilfe eines Stockes und scheinbar ohne Seitwärtsbewegung ihrer Hüften zustande brachte. Ihr
Haar, das immer noch eher schwarz als grau war, wurde jetzt von dem Haarnetz gehalten - vielleicht wäre gebändigt der zutreffendere Ausdruck gewesen -, das sie an der Essensausgabe trug. Dicke, zuckerwattefarbene Stützstrümpfe ragten aus ihren makellos weißen Krankenschwesterschuhen … nicht, dass Ralph viel von ihnen oder den Beinen sehen konnte, die sie bedeckten; heute Abend trug Mrs. Perrine einen wollenen Herrenmantel, dessen Saum ihr fast bis zu den Knöcheln reichte. Sie schien sich beim Gehen fast ausschließlich auf die Oberschenkel zu verlassen - Anzeichen eines chronischen Rückenleidens, vermutete Ralph -, und diese Art der Fortbewegung in Verbindung mit dem Mantel verlieh Esther Perrine ein fast unwirkliches Aussehen, als sie näher kam. Sie sah wie die schwarze Dame auf dem Schachbrett aus, eine Spielfigur, die entweder von einer unsichtbaren Hand geführt wurde oder sich von ganz allein bewegte.
Während sie sich der Stelle näherte, an der Ralph saß - der immer noch das zerrissene Hemd trug und obendrein seine Mahlzeit direkt aus dem Topf aß -, schlichen sich die Auren wieder in die Welt. Die Straßenlampen waren schon angegangen, und nun sah Ralph feine lavendelfarbene Bogen über jeder hängen. Außerdem konnte er einen roten Dunst über manchen Dächern erkennen, über anderen einen gelben, und wieder über anderen einen blass kirschroten. Im Osten, wo die Nacht zu ihrem Sprung über den Himmel ansetzte, scharten sich dunkelgrüne Flecken am Horizont.
In unmittelbarer Nähe aber konnte er sehen, wie Mrs. Perrines Aura um sie herum zum Leben erwachte - das nüchterne Grau, das ihn an eine Kadettenuniform von West
Point erinnerte. Einige dunklere Stellen, gleich geisterhaften Knöpfen, schwebten über ihrem Busen (Ralph vermutete, dass tatsächlich ein Busen irgendwo unter dem Mantel verborgen sein musste). Er war sich nicht sicher, vermutete aber, dass dies Vorboten einer Krankheit sein konnten.
»Guten Abend, Mrs. Perrine«, sagte er höflich und sah, wie die Worte als Schneeflockenumrisse vor seinen Augen aufstiegen.
Sie betrachtete ihn durchdringend, musterte ihn mit den Augen von oben bis unten und schien ihn gleichzeitig mit diesem einzigen Blick abzuschätzen und abzuurteilen. »Wie ich sehe, trägst du immer noch dasselbe Hemd, Roberts«, sagte sie.
Was sie nicht sagte - aber ganz bestimmt dachte, da war sich Ralph ganz sicher, war: Außerdem sehe ich, dass du da sitzt und Bohnen direkt aus dem Topf isst wie ein zerlumpter Landstreicher, der es nicht besser gelernt hat … und ich vergesse nicht, was ich sehe, Roberts.
»So ist es«, sagte Ralph. »Ich muss wohl vergessen haben, es zu wechseln.«
»Hmp«, sagte Mrs. Perrine,
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