Schlaflos - Insomnia
das, was …«
»Wahrscheinlich nur eine Fehlzündung auf der Kansas Street«, sagte sie und tat seine klägliche Entschuldigung kurzerhand ab. »Aber mein Herzschlag hat einen Moment ausgesetzt, das kann ich dir sagen.«
Sie setzte sich wieder mit dem seltsam gleitenden Gang in Bewegung, der dem einer Dame beim Schach glich, aber dann blieb sie noch einmal stehen und drehte sich zu ihm um. Ihre Aura verblasste langsam, aber Ralph hatte keine Mühe, ihre Augen zu sehen - sie waren so scharf wie die eines Turmfalken.
»Du siehst verändert aus, Roberts«, sagte sie. »Irgendwie jünger.«
Ralph, der etwas anderes erwartet hatte ( Gib mir zurück, was du mir gestohlen hast, Roberts, aber auf der Stelle, zum Beispiel), konnte nur stammeln. »Finden Sie … das ist sehr … ich meine, dan…«
Sie machte eine ungeduldige Ach-halt-die-Klappe-Hand-bewegung. »Liegt wahrscheinlich am Licht. Ich gebe dir den guten Rat, nicht auf diese Weste zu tropfen, Roberts. Mr. McGovern wirkt auf mich wie ein Mann, der auf seine Sachen achtgibt.«
»Er hätte besser auf seinen Hut achtgeben sollen«, sagte Ralph.
Die klaren Augen, die sich von ihm abgewendet hatten, wurden wieder auf ihn gerichtet. »Pardon?«
»Seinen Panama«, sagte Ralph. »Er hat ihn irgendwo verloren.«
Mrs. Perrine hielt das einen Augenblick ins Licht ihres Verstandes, dann tat sie es mit einem weiteren Hmp ab. »Geh ins Haus, Roberts. Wenn du noch lange hier draußen bleibst, wirst du dir den Tod holen.« Und damit glitt sie ihres Weges und sah als Folge von Ralphs gedankenlosem Diebstahl nicht schlechter aus als vorher.
Diebstahl? Ich bin mir ziemlich sicher, das ist das falsche Wort dafür, Ralph. Was du gerade getan hast, war eher …
»Vampirismus«, sagte Ralph düster. Er stellte den Topf mit Bohnen beiseite und rieb langsam die Hände aneinander. Er schämte sich … fühlte sich schuldig … und explodierte fast vor Energie.
Du hast ihr etwas von ihrer Lebenskraft statt von ihrem Blut gestohlen, aber Vampir bleibt Vampir, Ralph.
Ja, wahrhaftig. Und plötzlich ging Ralph auf, dass dies nicht das erste Mal gewesen sein konnte, dass er so etwas getan hatte.
Du siehst verändert aus, Roberts. Irgendwie jünger. Das hatte Mrs. Perrine gerade gesagt, aber seit der Sommer zu Ende ging, bekam er immer wieder ähnliche Bemerkungen zu hören, oder nicht? Der Hauptgrund, weshalb seine Freunde ihn nicht zum Arzt getragen hatten, war der, dass er nicht aussah , als würde ihm etwas fehlen. Er beschwerte sich über seine Schlaflosigkeit, sah aber offenbar aus, als würde er vor Gesundheit strotzen. Ich schätze, die Honigwabe hat wirklich geholfen, was?, hatte Johnny Leydecker gesagt, bevor sie beide am Sonntag die Bücherei verlassen hatten - ihm kam es jetzt so vor, als wäre das noch in der Eisenzeit gewesen. Und als Ralph ihn gefragt hatte, wovon er spreche, hatte Leydecker geantwortet, er spreche von Ralphs Schlaflosigkeit. Sie sehen eine Zillionmal besser aus als am Tag, als wir uns kennenlernten.
Und Leydecker war nicht der Einzige gewesen. Ralph hatte sich mehr oder weniger durch den Tag geschleppt und sich übernächtigt, hohlwangig und verstümmelt gefühlt … aber die Leute hatten ihm andauernd erzählt, wie gut er aussah, wie erholt er aussah, wie jung er aussah. Helen … McGovern … sogar Faye Chapin hatte vor ein oder zwei Wochen so etwas gesagt, aber Ralph konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, was …
»Aber klar doch«, sagte er mit leiser, bestürzter Stimme. »Er hat mich gefragt, ob ich Faltencreme benutze. Faltencreme, um Gottes willen!«
Hatte er damals schon die Lebenskraft von anderen gestohlen? Sie gestohlen, ohne es zu wissen?
»So muss es sein«, sagte er mit derselben leisen Stimme. »Großer Gott, ich bin ein Vampir.«
Aber war das das richtige Wort?, fragte er sich plötzlich. War es nicht immerhin denkbar, dass man in der Welt der Auren einen Dieb, der Lebenskraft stahl, einen Zenturio nannte?
Eds blasses, fieberhaftes Gesicht tauchte vor ihm auf wie ein Geist, der zurückkehrt, um seinen Mörder anzuklagen, und Ralph, der plötzlich schreckliche Angst hatte, schlang die Arme um die Knie, ließ den Kopf sinken und legte ihn darauf.
Kapitel 15
1
Um zwanzig Minuten nach sieben hielt ein perfekt erhaltener Lincoln Town Car aus den späten Siebzigern am Bordstein vor Lois’ Haus. Ralph - der die letzte Stunde damit verbracht hatte, zu duschen, sich zu rasieren, und zu versuchen, sich zu beruhigen - stand auf
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