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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und er glaubte, dass sie sich nun Gedanken über seine Unterwäsche machte. Wann hast du zum letzten Mal daran gedacht, die zu wechseln? Mich schaudert daran zu denken, Roberts.
    »Schöner Abend, nicht wahr, Mrs. Perrine?«
    Wieder einer dieser raschen, vogelähnlichen Blicke, diesmal zum Himmel hinauf. Dann wieder zu Ralph. »Es wird kalt werden.«
    »Glauben Sie?«
    »O ja - der Altweibersommer ist vorbei. Mein Rücken taugt heutzutage nur noch für Wettervorhersagen, aber
darin ist er ziemlich gut.« Sie machte eine Pause. »Ich glaube, das ist die Weste von Bill McGovern.«
    »Ja, vermutlich«, stimmte Ralph zu und fragte sich, ob sie ihn als Nächstes fragen würde, ob Bill davon wüsste. Er hätte es ihr zugetraut.
    Stattdessen befahl sie ihm, die Weste zuzuknöpfen. »Du möchtest doch kein Kandidat für eine Lungenentzündung sein, oder?«, fragte sie, und ihr verkniffener Mund fügte hinzu: genauso wie für die Klapsmühle?
    »Auf gar keinen Fall«, sagte Ralph. Er stellte den Topf beiseite, streckte die Hand nach den Knöpfen der Weste aus und hielt inne. Er trug immer noch einen gesteppten Kochhandschuh an der linken Hand. Bis jetzt war ihm das gar nicht aufgefallen.
    »Es ginge leichter, wenn du den ausziehen würdest«, sagte Mrs. Perrine. Die Andeutung eines Funkelns schien in ihren Augen zu leuchten.
    »Das denke ich auch«, sagte Ralph demütig. Er zog den Handschuh aus und knöpfte McGoverns Weste zu.
    »Mein Angebot steht noch, Roberts.«
    »Pardon?«
    »Mein Angebot, dir dein Hemd zu nähen. Das heißt, wenn du es fertigbringst, dich einmal einen Tag davon zu trennen.« Sie hielt inne. »Du hast doch noch ein anderes Hemd, nehme ich an? Das du tragen könntest, während ich das nähe, das du jetzt trägst?«
    »O ja«, sagte Ralph. »Darauf können Sie wetten. Jede Menge.«
    »Scheint eine zu große Herausforderung für dich zu sein, dir jeden Tag ein Neues auszusuchen. Du hast Bohnensoße am Kinn, Roberts.« Nach dieser Bemerkung richtete
Mrs. Perrine die Augen geradeaus und setzte sich wieder in Bewegung.
    Was Ralph nun tat, tat er, ohne nachzudenken oder es zu verstehen; es war so instinktiv wie die Handbewegung, die er vorhin gemacht hatte, um Doc Nr. 3 von Rosalie fortzuscheuchen. Er hob die Hand, an der er den Kochhandschuh getragen hatte, und formte damit eine Röhre um den Mund. Dann atmete er kräftig ein, was einen leisen, flüsternden Pfiff erzeugte.
    Die Resultate waren erstaunlich. Ein bleistiftdünner grauer Lichtstrahl schoss aus Mrs. Perrines Aura wie der Stachel eines Stachelschweins. Er wurde zusehends länger und krümmte sich nach hinten, während die alte Dame vorwärtsging, bis er den laubübersäten Rasen überquert hatte und in die Röhre schnellte, die Ralphs gekrümmte Finger bildeten. Er spürte, wie der Lichtstrahl beim Inhalieren in ihn eindrang, und es war, als würde er reine Energie einsaugen. Plötzlich fühlte er sich erleuchtet wie eine Neonreklame oder die Schrifttafel eines Großstadtkinos. Ein explosives Gefühl von Kraft - ein Eindruck von Rumms! - lief durch seine Brust und seinen Magen, und dann an den Beinen hinunter bis in die Zehenspitzen. Gleichzeitig sauste es in seinen Kopf hinauf und drohte, ihm die Schädeldecke wegzupusten wie das dünne Betondach eines Raketensilos.
    Er konnte Lichtstrahlen erkennen, so grau wie elektrisch aufgeladener Nebel, die zwischen seinen Fingern hervorquollen. Ein schreckliches, freudiges Gefühl der Macht erleuchtete seine Gedanken, aber nur einen Augenblick. Es folgten Scham und ein verblüfftes Entsetzen.

    Was tust du da, Ralph? Was immer dieses Zeug ist, es gehört dir nicht. Würdest du in ihre Geldbörse greifen und ihr Geld wegnehmen, wenn sie nicht hinsieht?
    Er spürte, wie er rot wurde. Er ließ die gekrümmte Hand sinken und klappte den Mund zu. Als seine Lippen und Zähne aufeinandertrafen, hörte er - und spürte sogar - deutlich, wie etwas in seinem Inneren knirschte. Es war das Geräusch, das man hörte, wenn man in eine frische Stange Rhabarber biss.
    Mrs. Perrine blieb stehen, und Ralph beobachtete besorgt, wie sie sich halb umdrehte und auf die Harris Avenue sah. Das wollte ich nicht, dachte er zu ihr. Wirklich nicht, Mrs. P. - ich lerne immer noch, mit diesen Dingen umzugehen.
    »Roberts?«
    »Ja?«
    »Hast du etwas gehört? Hat fast wie ein Gewehrschuss geklungen.«
    Ralph konnte spüren, wie heißes Blut in seinen Ohren pulsierte, als er den Kopf schüttelte. »Nein, aber meine Ohren sind nicht mehr

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