Schlaflos - Insomnia
Leuten schadet? Ich muss immerzu an Vampire denken.«
»Weißt du, woran ich denken muss?« Lois hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. »Was du mir erzählt hast, wovon Ed gesprochen hat. Diese Zenturionen. Was ist, wenn wir das sind, Ralph? Was ist, wenn wir das sind?«
Er umarmte sie und küsste sie auf den Kopf. Dass er seine schlimmste Befürchtung aus ihrem Munde hörte, machte es ihm etwas leichter ums Herz, und da musste er wieder daran denken, wie Lois gesagt hatte, die Einsamkeit sei das Schlimmste am Älterwerden.
»Ich weiß«, sagte er. »Und das, was ich mit Mrs. Perrine gemacht habe, ist einfach impulsiv geschehen - ich kann mich nicht erinnern, dass ich überhaupt darüber nachgedacht habe, ich habe es einfach getan. War es bei dir genauso?«
»Ja. Einfach so.« Sie legte den Kopf an seine Schulter.
»Wir dürfen es nicht mehr tun«, sagte er. »Es könnte wirklich süchtig machen. Alles, was so guttut, muss süchtig
machen, findest du nicht auch? Und wir müssen versuchen, einen Schutzmechanismus zu entwickeln, damit wir es nicht unbewusst tun. Ich glaube nämlich, dass ich das getan habe. Es könnte der Grund dafür sein, weshalb …«
Quietschende Bremsen und kreischende Reifen unterbrachen ihn. Sie sahen einander mit großen Augen an, während draußen auf der Straße das Geräusch nicht aufhören wollte, offenbar ausgelöst durch Kummer, der nach einem Aufprallpunkt zu suchen schien.
Ein gedämpftes Klatschen ertönte auf der Straße und das Quietschen von Bremsen und Reifen verstummte. Es folgte ein kurzer Schrei von einer Frau oder einem Kind, Ralph konnte es nicht genau sagen. Jemand anders schrie: »Was ist passiert?« Und dann: »O Gott!« Rennende Schritte hallten auf dem Bürgersteig.
»Bleib auf der Couch«, sagte Ralph und eilte zum Wohnzimmerfenster. Als er das Rollo hochzog, stand Lois direkt neben ihm, und Ralph verspürte einen Anflug von Wohlwollen. Carolyn hätte unter diesen Umständen nicht anders gehandelt.
Sie sahen in eine nächtliche Welt hinaus, in der seltsame Farben und wundersame Bewegungen pulsierten. Ralph wusste, sie würden Bill sehen, er wusste es - Bill, der von einem Auto überfahren worden war und tot auf der Straße lag, der Panama mit der angebissenen Krempe neben einer ausgestreckten Hand. Er legte einen Arm um Lois, und sie ergriff seine Hand.
Aber es war nicht McGovern, der im Lichtkegel der Scheinwerfer des Fords lag, der schräg auf der Harris Avenue stand; es war Rosalie. Ihre frühmorgendlichen Spaziergänge
waren vorbei. Sie lag in einer wachsenden Blutlache auf der Seite, und ihr Rücken war an mehreren Stellen geknickt und verkrümmt. Als der Fahrer des Autos, das sie angefahren hatte, neben dem alten Streuner niederkniete, erhellte der unbarmherzige Schein der nächsten Straßenlaterne sein Gesicht. Es war Joe Wyzer, der Apotheker von Rite Aid, in dessen orangegelber Aura nun rote und blaue Schnörkel der Verwirrung kreisten. Er streichelte die Seite der alten Hündin, und jedes Mal, wenn seine Hand in die hässliche schwarze Aura eindrang, die das Tier umgab, verschwand sie.
Albtraumähnliches Grauen durchzuckte Ralph, senkte seine Temperatur und ließ seine Hoden schrumpfen, bis sie sich wie kleine harte Pfirsichkerne anfühlten. Plötzlich war es wieder Juli 1992, Carolyn starb, die Todesuhr tickte, und etwas Unheimliches geschah mit Ed Deepneau. Ed war ausgeflippt, und Ralph hatte versucht, Helens normalerweise gutmütigen Ehemann daran zu hindern, den Mann mit der Mütze von West Side Gardeners anzufallen, um ihm die Kehle zu zerfleischen. Dann - die Kirsche auf der Charlotte russe , wie Carolyn gesagt hätte - war Dorrance Marstellar dazugekommen. Der alte Dor. Und was hatte er gesagt?
Ich an deiner Stelle würde ihn nicht mehr anfassen. Ich kann deine Hände nicht sehen.
Ich kann deine Hände nicht sehen.
»O mein Gott«, flüsterte Ralph.
5
Lois schwankte, als würde sie ohnmächtig werden, und das holte ihn ins Hier und Jetzt zurück.
»Lois!«, sagte er schneidend und hielt sie am Arm fest. »Lois, alles in Ordnung?«
»Ich glaube schon … aber Ralph … siehst du …«
»Ja, es ist Rosalie. Ich glaube, sie ist …«
»Ich meine nicht sie; ich meine ihn! « Sie deutete nach rechts.
Doc Nr. 3 lehnte an der Motorhaube von Joe Wyzers Ford und hatte McGoverns Panama keck auf dem kahlen Schädel nach hinten geschoben. Er sah zu Ralph und Lois, grinste frech, dann hielt er langsam den Daumen an die Nase und bewegte die
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