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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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beantwortet.
    Lois drückte Ralphs Hand mit kalten Fingern. »Was sollen wir tun, Ralph? Was sollen wir jetzt tun?«
    Er betrachtete die grau-schwarzen Rauchschwaden über den Bäumen, dann die Polizeiautos, die den Hügel heraufgerast kamen - diesmal mehr als ein halbes Dutzend - und zuletzt Lois’ blasses, verhärmtes Gesicht. Sein Denken klärte sich ein kleines bisschen - nicht sehr, aber so weit, dass ihm bewusst wurde, es gab nur eine mögliche Antwort auf ihre Frage.
    »Wir gehen rauf«, sagte er.

5
    Blinzel! und die Flammen, die über dem Fichtenhain loderten, wurden von Orange zu Grün. Das gierige Prasseln klang gedämpfter, wie Kracher, die in einer geschlossenen Kiste explodieren. Ralph, der immer noch Lois’ Hand hielt, führte sie an der vorderen Stoßstange des Polizeiautos vorbei, das als Straßensperre quergestellt worden war.

    Die neu eingetroffenen Streifenwagen hielten vor der Straßensperre. Männer in blauen Uniformen stiegen aus, noch ehe die Wagen richtig zum Stillstand gekommen waren. Mehrere trugen Tränengaspistolen, fast alle dicke schwarze Westen. Einer von ihnen sprintete durch Ralph hindurch wie ein warmer Windstoß, bevor er beiseite springen konnte: ein junger Mann namens David Wilbert, der glaubte, dass seine Frau eine Affäre mit ihrem Boss im Maklerbüro hatte, wo sie als Sekretärin arbeitete. Aber die Bedenken wegen seiner Frau waren, zumindest vorübergehend, von David Wilberts fast unerträglichem Drang zu pinkeln und dem fortwährenden ängstlichen Gesang verdrängt worden, der sich wie eine Schlange durch sein ganzes Denken wand:
    [»Du wirst dich nicht blamieren , du wirst dich nicht blamieren, nein, nein, nein.«]
    »PICKERING!«, bellte die Megafonstimme, und Ralph stellte fest, dass er die Worte tatsächlich im Mund schmecken konnte, wie kleine Silberkügelchen. »IHRE FREUNDE SIND TOT, PICKERING! WERFEN SIE DIE WAFFE WEG UND KOMMEN SIE AUF DEN HOF! LASSEN SIE UNS DIE FRAUEN IN SICHERHEIT BRINGEN!«
    Ralph und Lois gingen, unsichtbar für die Männer, die um sie herumliefen, um die Ecke und kamen zu einem Knäuel von Polizeiautos, die an der Straße vor der Einfahrt parkten, die zu beiden Seiten von hübschen Blumenkästen gesäumt wurde.
    Die weibliche Note, ein bedeutsamer Bote, dachte Ralph.
    Die Einfahrt führte zum Hof eines weitläufigen, mindestens siebzig Jahre alten Farmhauses. Es war dreistöckig und hatte zwei Flügel und eine große Veranda, die an der gesamten Länge des Gebäudes verlief und einen herrlichen
Ausblick nach Westen bot, wo dunstige blaue Berge im Morgenlicht aufragten. In diesem Haus mit seiner friedlichen Aussicht hatte einmal die Familie Barrett mit ihrem Apfelgeschäft gewohnt. In neuerer Zeit lebten hier Dutzende geprügelter, verängstigter Frauen, aber ein Blick verriet Ralph, dass morgen früh niemand mehr hier wohnen würde. Der Südflügel brannte lichterloh, und diese Seite der Veranda fing ebenfalls gerade Feuer; Flammenzungen stießen zu den Fenstern heraus und leckten gierig an den Traufen entlang, sodass Schindeln als feurige Splitter in die Luft stoben. Am anderen Ende der Veranda sah er einen Schaukelstuhl aus geflochtenem Peddigrohr brennen. Ein halb gestrickter Schal lag auf einer Armlehne; die Stricknadeln, die daran herunterbaumelten, waren weißglühend. Irgendwo ließ ein Glockenspiel eine nervtötend monotone Melodie erklingen.
    Eine tote Frau im grünen Drillichanzug und einer Fliegerjacke lag kopfunter auf der Verandatreppe und sah durch blutverschmierte Brillengläser himmelwärts. Sie hatte Schmutz im Haar, eine Pistole in der Hand und ein unregelmäßiges schwarzes Loch in der Bauchgegend. Am nördlichen Ende der Veranda hing ein Mann über dem Geländer, der seinen in einem Stiefel steckenden Fuß auf der Hollywoodschaukel aufgestützt hatte. Auch er trug Drillichzeug und eine Fliegerjacke. Unter ihm im Blumenbeet lag ein Sturmgewehr mit aufgestecktem Magazin. Blut rann an seinen Fingern hinab und tropfte von den Nägeln. In Ralphs gesteigerter Wahrnehmung sahen die Tropfen schwarz und tot aus.
    Felton, dachte er. Wenn die Polizisten noch Pickerings Namen rufen - falls er sich im Inneren des Hauses aufhält
-, dann muss das Frank Felton sein. Und was ist mit Susan Day? Ed hält sich irgendwo an der Küste auf - Lois schien sich da sicher zu sein, und ich denke, sie hat recht -, aber wenn Susan Day da drinnen ist? Herrgott, wäre das möglich?
    Wahrscheinlich schon, aber diese Möglichkeit war im Augenblick

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