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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zur Rückseite des Hauses verlief und inzwischen auf voller Länge in Flammen stand. Für Ralph waren sie hellgrün, und wenn Lois und er hindurchschritten, waren sie kühl - als würde man durch mentholgetränkte Gazemembranen gehen. Das Prasseln des brennenden Hauses wurde gedämpft; das Gewehrfeuer war so leise und unwichtig geworden wie Donnergrollen für jemanden unter Wasser … und genauso kam ihm das alles hier vor, mehr als alles andere, überlegte Ralph - als wären sie unter Wasser. Er und Lois waren unsichtbare Wesen und schwammen durch einen Fluss aus Feuer.
    Er deutete auf eine Tür rechts und sah Lois fragend an. Sie nickte. Er griff nach dem Knauf und verzog ärgerlich das Gesicht, als seine Finger einfach hindurchgingen. Und das war selbstverständlich ganz gut so; hätte er das verdammte Ding tatsächlich festhalten können, wären die beiden obersten Hautschichten seiner Finger als verkohlte Streifen daran hängen geblieben.
    [»Wir müssen durch die Tür hindurchgehen, Ralph!«]
    Er sah sie abschätzend an, erkannte eine Menge Angst und Sorge in ihrem Blick, aber keine Panik, und nickte. Sie gingen gemeinsam durch die Tür, als der Leuchter in der
Mitte des Flurs mit einem unmelodischen Scheppern von Kristallglas und Eisenketten zu Boden fiel.
    Ein Salon lag auf der anderen Seite, und beim Anblick dessen, was sie dort erwartete, zog sich Ralphs Magen vor Entsetzen zusammen. Zwei Frauen waren an die Wand gelehnt worden, direkt unter einem großen Plakat von Susan Day in Jeans und einem Cowboyhemd (LASS DICH NICHT BABY VON IHM NENNEN, WENN DU NICHT VON IHM WIE EINS BEHANDELT WERDEN WILLST, riet das Plakat). Beiden war aus nächster Nähe in den Kopf geschossen worden; Gehirnmasse, Fetzen der Kopfhaut und Knochensplitter waren auf die Blumentapete und Susan Days schick bestickte Cowgirlstiefel gespritzt. Eine der Frauen war schwanger gewesen. Die andere war Gretchen Tillbury.
    Ralph musste an den Tag denken, an dem sie mit Helen zu ihm nach Hause gekommen war, um ihn zu warnen und ihm eine Spraydose namens Bodyguard zu geben; an dem Tag hatte er sie für bildhübsch gehalten, aber an dem Tag war ihr wohlgeformter Kopf selbstverständlich auch noch unversehrt und das schöne blonde Haar nicht halb durch einen Schrotschuss aus nächster Nähe abgefackelt gewesen. Fünfzehn Jahre, nachdem sie knapp dem Tod aus der Hand ihres gewalttätigen Mannes entkommen war, hatte ein anderer Mann Gretchen Tillbury eine Waffe an den Kopf gehalten und sie einfach aus dieser Welt gepustet. Sie würde nie mehr einer anderen Frau erzählen können, wie sie zu der Narbe am linken Oberschenkel gekommen war.
    Einen schrecklichen Augenblick glaubte Ralph, er würde ohnmächtig werden. Er konzentrierte sich und riss sich zusammen, indem er an Lois dachte. Ihre Aura hatte ein
dunkles, schockiertes Rot angenommen. Gezackte schwarze Linien schossen darüber hinweg und durch sie hindurch. Sie sahen wie die EKG-Kurve einer Frau aus, die einen tödlichen Herzanfall erleidet.
    [»O Ralph! O Ralph, großer Gott!«]
    Etwas explodierte am südlichen Ende des Hauses mit solcher Wucht, dass die Tür, durch die sie gerade gekommen waren, aus den Angeln gerissen wurde. Ralph vermutete, es könnten eine oder mehrere Propangasflaschen gewesen sein … nicht dass es in dieser Lage eine nennenswerte Rolle gespielt hätte. Brennende Fetzen der Tapete wurden vom Flur hereingewirbelt, und er sah, wie die Vorhänge im Zimmer und die restlichen Haare auf Gretchen Tillburys Kopf zur Tür geweht wurden, als das Feuer die Luft aus dem Zimmer sog, um sich Nahrung zu verschaffen. Wie lange würde es dauern, bis das Feuer die Frauen und Kinder im Keller in verkohltes Fleisch verwandelte? Ralph wusste es nicht und schätzte, dass es auch nicht darauf ankam; die Menschen, die da unten eingeschlossen waren, würden ersticken oder an Rauchvergiftung sterben, bevor sie verbrannten.
    Lois starrte die toten Frauen voller Entsetzen an. Tränen liefen ihr die Wangen hinab. Das geisterhafte graue Licht, das von den Spuren aufstieg, die sie hinterließen, sah wie Dampf von Trockeneis aus. Ralph führte sie durch den Salon zur geschlossenen Doppeltür auf der anderen Seite, verweilte gerade lange genug davor, dass er einmal tief Luft holen konnte, legte Lois einen Arm um die Taille und trat in das Holz.
    Es folgte ein Augenblick der Dunkelheit, in dem nicht nur seine Nase, sondern sein ganzer Körper vom süßlichen Duft von Sägespänen eingehüllt zu sein schien,

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