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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Sommertag des Jahres, in dem Ralph Roberts sieben geworden war, hatte er beim Angeln mit seinem Bruder John einen riesigen Katzenwels aus dem Kenduskeag gezogen - damals hatte man das, was man in den Barrens fing, noch essen können. Ralph hatte seinen älteren Bruder gebeten, das konvulsivisch zuckende Ding für ihn vom Haken zu nehmen und in den Eimer mit frischem Wasser zu werfen, den sie neben sich am Ufer stehen hatten.
Johnny hatte sich geweigert und herablassend zitiert, was er den Anglerkodex nannte: Gute Angler befestigen ihre Köder selbst, graben ihre Würmer selbst aus und lösen ihren Fang selbst vom Haken. Erst später war Ralph klar geworden, dass Johnny vielleicht nur versucht hatte, seine eigene Angst vor der riesigen und irgendwie außerirdisch wirkenden Kreatur zu verbergen, die sein kleiner Bruder an dem Tag aus dem trüben, pisswarmen Wasser des Kenduskeag gezogen hatte.
    Ralph hatte sich schließlich dazu überwunden, den pulsierenden Körper des Katzenwelses anzufassen, der glitschig, schuppig und stachelig zugleich war. Währenddessen vergrößerte Johnny seine Angst noch, indem er ihm in leiser, Unheil verkündender Stimme verkündete, er solle sich vor den Bartfäden hüten. Sie sind giftig. Bobby Therriault hat mir gesagt, wenn man sich an einem sticht, kann man gelähmt werden. Den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen. Also sei vorsichtig, Ralphie.
    Ralph hatte das Tier hierhin und dorthin gedreht und versucht, den Haken aus den dunklen, nassen Innereien zu lösen, ohne die Hände auch nur in die Nähe der Barteln zu bringen (er glaubte Johnny das mit dem Gift nicht, aber gleichzeitig glaubte er auch jedes Wort), und dabei war er sich überdeutlich der Kiemen, der Augen und des Fischgeruchs bewusst gewesen, der ihm mit jedem Atemzug tiefer in die Lunge einzudringen schien.
    Schließlich hatte er Knorpel im Inneren des Katzenwelses reißen hören und gespürt, wie sich der Haken löste. Frische Blutströme liefen aus dem schnappenden Maul des sterbenden Tiers. Ralph stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus - voreilig, wie sich herausstellte. Als sich
der Haken löste, schlug der Katzenwels gewaltig mit der Schwanzflosse aus. Die Hand, mit der Ralph ihn befreit hatte, rutschte ab, und plötzlich schloss sich das blutende Maul des Katzenwels um Ralphs Zeige- und Mittelfinger. Wie viel Schmerz hatte er gespürt? Viel? Wenig? Vielleicht gar keinen? Ralph konnte sich nicht erinnern. Aber an Johnnys aufrichtigen, ungespielten Schreckensschrei und an seine eigene Überzeugung, dass der Katzenwels sich an ihm für seinen Tod rächen würde, indem er ihm zwei Finger der rechten Hand abbiss, daran konnte er sich noch genau erinnern.
    Er entsann sich, wie er selbst geschrien und die Hand geschüttelt und Johnny angefleht hatte, ihm zu helfen, aber Johnny hatte sich mit blassem Gesicht und vor Ekel verzerrtem Mund abgewendet. Ralph hatte die Hand wie verrückt geschüttelt, in weiten Bogen, aber der Katzenwels hatte sich festgeklammert wie der leibhaftige Tod, die Bartfäden
    (giftige Bartfäden, die mich für den Rest meines Lebens an den Rollstuhl fesseln)
    schlugen und flatterten gegen Ralphs Handgelenk, die schwarzen Augen des Fischs glotzten ihn an.
    Schließlich hatte er ihn gegen einen Baum in der Nähe geschlagen und ihm das Rückgrat gebrochen. Der Fisch war immer noch zuckend ins Gras gefallen, und Ralph war mit dem Fuß daraufgetreten, was den ultimativen Horror nach sich zog. Ein Schwall Gedärme quoll aus dem Maul des Fischs, und aus der Stelle, die Ralphs Absatz aufgerissen hatte, ergoss sich eine schleimige Flut blutiger Eier. Da war ihm klar geworden, dass der Kingfish in Wirklichkeit ein Queenfish und nur einen oder zwei Tage vom Laichen entfernt gewesen war.

    Ralph hatte von der grausigen Masse auf seine eigene blutige, schuppenübersäte Hand gesehen und geheult wie eine Todesfee. Als Johnny seine Hand berührte, um ihn zu beruhigen, war Ralph ausgerissen. Er war immer weitergelaufen, bis er nach Hause kam, und hatte sich den Rest des Tages geweigert, sein Zimmer zu verlassen. Fast ein Jahr hatte es gedauert, bis er wieder Fisch aß, und mit Katzenwelsen hatte er nie wieder etwas zu tun gehabt.
    Das heißt, bis jetzt.

3
    [Ralph!«]
    Das war Lois’ Stimme … aber aus der Ferne. Aus weiter Ferne!
    [»Du musst sofort etwas unternehmen! Lass dich nicht von ihm aufhalten!«]
    Jetzt sah Ralph, dass das, was er für eine Strickdecke auf dem Schoß seiner Mutter gehalten

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