Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
in einem Fächer aus Wind und verblassendem grünen Licht an ihm vorbei. Er konnte einen seltsam verzerrten Blick auf den Scharlachroten König werfen, der nicht mehr jung und nicht mehr attraktiv war, sondern uralt und krumm und weniger menschlich als die seltsamste Kreatur, die je durch die Existenzebene der Kurzfristigen geflattert oder gehüpft war. Dann tat sich etwas über ihnen auf und offenbarte eine Dunkelheit, in der widerstreitende Schnörkel und farbige Lichtstrahlen umherschossen. Der Wind schien den Scharlachroten König darauf zuzuwehen wie die Aufwinde in einem Schornstein ein welkes Blatt emporwirbeln. Die Farben wurden heller, Ralph hob schützend eine Hand vor die Augen und wandte das Gesicht ab. Er begriff, dass ein Verbindungskanal zwischen der Ebene, auf der er sich befand, und den unvorstellbaren Ebenen darüber
geöffnet worden war; er begriff auch, wenn er lange in dieses grelle Leuchten sehen würde, in diese
    (Totenlichter)
    wirbelnden Farben, dann wäre der Tod bei Weitem nicht das Schlimmste, das ihm zustoßen konnte, sondern das Beste. Er schloss nicht nur die Augen; er verschloss sein Denken .
    Einen Augenblick später war alles verschwunden - die Kreatur, die sich Ed gegenüber als der Scharlachrote König zu erkennen gegeben hatte, die Küche des alten Hauses in der Richmond Street, der Schaukelstuhl seiner Mutter. Ralph kniete etwa sechs Fuß rechts von der Nase der Cherokee entfernt in der Luft und hatte die Hände erhoben wie ein Kind, das häufig Prügel von einem grausamen Elternteil bezog, und als er zwischen seinen Knien hinunterschaute, sah er das Bürgerzentrum und den angrenzenden Parkplatz direkt unter sich. Zuerst glaubte er, seine Augen wären einer optischen Täuschung erlegen, weil die Lampen auf dem Parkplatz auseinanderzustreben schienen. Sie sahen fast wie eine Menge sehr großer, sehr schlanker Menschen aus, die sich auflöste, weil das wie auch immer geartete aufregende Ereignis vorbei ist. Und der Parkplatz selbst schien … nun … größer zu werden.
    Er wird nicht größer, sondern kommt näher, dachte Ralph kalt. Ed geht runter. Er hat mit seinem Kamikazeanflug begonnen.

6
    Einen Augenblick verharrte Ralph, von der simplen Unmöglichkeit seiner Position in den Bann geschlagen, starr auf der Stelle. Er war zu einem mythischen Zwischenwesen geworden, eindeutig kein Gott (kein Gott konnte so müde und furchterfüllt sein wie er im Augenblick), aber eindeutig auch kein erdgebundenes Geschöpf wie ein Mensch. So fühlte es sich also an, wirklich zu fliegen; die Erde von oben zu sehen, ohne jegliche Hindernisse. Dies …
    [»RALPH!«]
    Ihr Schrei war wie der Knall einer Schrotflinte neben seinem Ohr. Ralph zuckte davor zurück, und in dem Moment, als er den Blick vom hypnotisierenden Anblick des Bodens abwenden konnte, der ihm entgegenraste, konnte er sich auch wieder bewegen. Er stand auf und ging zum Flugzeug zurück. Das tat er so beiläufig und mühelos wie ein Mann, der in seinem Haus den Flur entlanggeht. Kein Wind blies ihm ins Gesicht oder wehte ihm das Haar aus der Stirn, und als seine linke Schulter durch den Propeller der Cherokee hindurchging, konnte ihm der kreisende Rotor ebenso wenig etwas anhaben wie Rauch.
    Einen Augenblick sah er Eds blasses, hübsches Gesicht - das Gesicht des Highwayman, der in dem Gedicht, das Carolyn immer zum Weinen gebracht hatte, zur Tür des alten Gasthauses geritten kam -, und das Mitleid und Bedauern, das er zuvor verspürt hatte, wurde von Wut verdrängt. Es war schwierig, wirklich wütend auf Ed zu werden - schließlich war auch er nur eine Schachfigur, die auf dem Brett herumgeschoben wurde -, aber das Gebäude, das er mit seinem Flugzeug anvisierte, war voller echter
Menschen. Unschuldiger Menschen. Ralph sah etwas Trotziges, Kindisches und Mutwilliges unter Eds benommenen, verwirrten Gesichtsausdruck, und als er durch die dünne Haut der Cockpitwand trat, dachte Ralph: Ich glaube, auf einer Ebene hast du gewusst, dass der Teufel in dich gefahren ist, Ed. Ich glaube, du hättest ihn sogar wieder hinauswerfen können … haben Mr. K. und Mr. L. nicht gesagt, dass es immer eine Wahl gibt? Wenn ja, trägst du zumindest zum Teil die Verantwortung hierfür, du verdammter Dreckskerl.
    Einen Moment ragte Ralphs Kopf durch die Decke wie zuvor, und er kniete sich erneut hin. Inzwischen nahm das Bürgerzentrum die gesamte Windschutzscheibe des Flugzeugs ein, worauf er einsehen musste, dass es zu spät war, Ed daran zu hindern,

Weitere Kostenlose Bücher