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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Auge, aber Ed wandte im letzten Augenblick den Kopf ab. Der Dorn bohrte sich dicht über dem Wangenknochen in Eds Gesicht. Ed schlug ihn weg wie eine Stechmücke, dabei hielt er den Steuerknüppel weiter mit der linken Hand fest umschlungen.
    Ralph stürzte sich erneut auf den Knüppel. Ed schlug nach ihm. Seine Faust traf über dem linken Auge und stieß Ralph zurück. Ein einziger lauter Ton, rein und silbern, hallte ihm in den Ohren. Es war, als befände sich eine gewaltige Stimmgabel irgendwo zwischen ihnen, die jemand angeschlagen hatte. Die Welt wurde grau und körnig wie eine Zeitungsfotografie.
    [»RALPH! BEEIL DICH!«]
    Das war Lois, in Todesangst. Er wusste, warum; die Zeit war so gut wie abgelaufen. Ihm blieben vielleicht zehn Sekunden, bestenfalls zwanzig. Wieder warf er sich nach vorn, aber diesmal nicht auf Ed, sondern auf das Bild von Helen und Nat, das über dem Höhenmesser festgeklebt worden war. Er riss es ab, hielt es hoch … und zerknüllte es zwischen
den Fingern. Er wusste nicht genau, mit welcher Reaktion er gerechnet hatte, aber diejenige, die er erzielte, übertraf seine kühnsten Erwartungen.
    »GIB SIE ZURÜCK!«, schrie Ed. Er vergaß den Steuerknüppel und griff stattdessen nach dem Bild. Dabei erblickte Ralph wieder den Mann, den er an dem Tag zu sehen bekommen hatte, als Ed Helen verprügelt hatte - ein Mann, der verzweifelt unglücklich war und sich vor den in ihm freigesetzten Kräften fürchtete. Tränen standen ihm nicht nur in den Augen, sondern liefen an seinen Wangen hinab, und Ralph dachte verwirrt: Weint er schon die ganze Zeit?
    »GIB SIE ZURÜCK!«, brüllte er wieder, aber Ralph war sich nicht mehr sicher, ob der Schrei ihm galt; er dachte, dass sein ehemaliger Nachbar möglicherweise das Wesen ansprach, das in sein Leben getreten war, sich umgesehen und vergewissert hatte, dass er geeignet war, und dann einfach übernommen hatte. Lois’ Ohrring funkelte an Eds Wange wie ein barbarisches Trauerornament. »GIB SIE ZURÜCK, SIE GEHÖREN MIR!«
    Ralph hielt die zerknüllte Fotografie gerade außerhalb der Reichweite von Eds fuchtelnden Armen. Ed sprang, der Sicherheitsgurt schnitt ihm in den Bauch, und Ralph schlug ihm, so fest er konnte, gegen die Kehle, wobei er eine unbeschreibliche Mischung aus Befriedigung und Ekel verspürte, als der Schlag auf der harten, knorpeligen Wölbung von Eds Adamsapfel landete. Ed fiel gegen die Cockpitwand, die Augen quollen ihm vor Schmerzen und Entsetzen und Verwunderung aus den Höhlen, und er fuhr sich mit den Händen an den Hals. Ein ersticktes, würgendes Geräusch drang aus seinem Inneren. Es hörte sich an
wie das Getriebe einer gigantischen Maschine, die im Begriff war, sich festzufressen.
    Ralph schob sich über Eds Schoß nach vorn und sah das Bürgerzentrum dem Flugzeug förmlich entgegen springen . Er zog den Steuerknüppel so weit er konnte nach links, und unter ihm - direkt unter ihm - drehte sich das Bürgerzentrum wieder seitlich zu der dem Untergang geweihten Windschutzscheibe der Cherokee … aber es bewegte sich quälend langsam.
    Ralph bemerkte einen Geruch im Cockpit - ein schwaches Aroma, das süßlich und vertraut zugleich war. Bevor er sich überlegen konnte, was es sein mochte, sah er etwas, was ihn völlig ablenkte. Es war der Hoodsie-Eiscreme-Wagen, der manchmal mit fröhlich klingelnder Glocke durch die Harris Avenue fuhr.
    Mein Gott, dachte Ralph mehr ehrfürchtig denn ängstlich. Ich glaube, ich lande in der Tiefkühltruhe, direkt neben Vanille-Orange-Stieleis und Hoodsie-Rockets.
    Der süßliche Geruch wurde stärker, plötzlich ergriffen Hände seine Schultern und ihm wurde klar, dass es Lois Chasses Parfüm war.
    »Komm hoch!«, schrie sie. »Ralph, du Dummkopf, du musst …«
    Er dachte nicht nach; er tat es einfach. Das Ding in seinem Geist verkrampfte sich, das Blinzeln fand statt, und er hörte den Rest von dem, was sie zu sagen hatte, in der unheimlichen, durchdringenden Weise, die mehr Denken als Sprechen war.
    [»… heraufkommen! Stemm dich mit den Füßen ab!«]
    Zu spät, dachte er, befolgte ihren Rat aber trotzdem, stützte die Füße auf das schräg geneigte Armaturenbrett
und stieß sich so fest er konnte ab. Er spürte, wie Lois mit ihm durch die Säule der Existenz emporstieg, während die Cherokee die letzten hundert Fuß zwischen sich und dem Boden zurücklegte. Als sie in die Höhe schossen, fühlte er, wie sich eine plötzliche Ladung Lois-Energie um ihn legte und ihn zurückriss wie ein

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