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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Bungee-Seil. Er erlebte kurz das ekelerregende Gefühl, in zwei Richtungen gleichzeitig zu fliegen.
    Ralph konnte einen letzten Blick auf Ed Deepneau werfen, der zusammengesunken an der Seitenwand des Cockpits lehnte, doch genau genommen sah er ihn gar nicht. Die gewittrige gelb-graue Aura der Verwirrung war verschwunden. Ed war ebenfalls verschwunden. Er steckte in einem Leichentuch, so schwarz wie die Mitternacht in der Hölle.
    Dann fielen und flogen er und Lois zugleich.

Kapitel 30

1
    Kurz bevor es zu der Explosion kam, sagte Susan Day, die im heißen, weißen Scheinwerferlicht stehend die letzten Sekunden ihres sagenhaften, provokativen Lebens erlebte: »Ich bin nicht nach Derry gekommen, um Sie zu heilen, Sie herumzukommandieren oder aufzuhetzen, sondern, um mit Ihnen zu trauern - dies ist eine Situation, die weit über politische Erwägungen hinausgeht. Es gibt kein Recht auf Gewalt, keine Zuflucht in Selbstgerechtigkeit. Ich bin hier, um Sie zu bitten, Ihren Standpunkt und nichtssagendes Gerede beiseitezulassen und gemeinsam eine Möglichkeit zu finden, einander zu helfen. Sich von der Faszination abzuwenden…«
    Hinter den hohen Fenstern an der Südseite des Auditoriums erstrahlte unvermittelt ein grelles weißes Licht, dann barsten sie nach innen.

2
    Die Cherokee verfehlte den Hoodsie-Eiscreme-Wagen, aber das rettete ihn nicht. Das Flugzeug machte noch einmal eine halbe Drehung in der Luft, dann bohrte es sich etwa fünfundzwanzig Fuß von dem Zaun entfernt in den Boden,
wo Lois früher an diesem Tag stehen geblieben war, um ihren eigenwilligen Unterrock in die Höhe zu ziehen. Die Tragflächen brachen ab. Das Cockpit unternahm eine schnelle und brutale Reise durch die Passagierkabine. Der Rumpf explodierte mit der Wucht einer Champagnerflasche im Mikrowellenherd. Scherben flogen. Das Heck bog sich über den Rumpf der Cherokee wie der Stachel eines sterbenden Skorpions und bohrte sich ins Dach eines Dodge, auf dessen Seite SCHÜTZT DAS RECHT DER FRAUEN AUF FREIE ENTSCHEIDUNG! gemalt worden war. Ein helles, bitteres, knirschendes Scheppern erklang, das sich anhörte, als wäre ein Stapel Alteisen umgestürzt.
    »Ach du Schei…«, begann einer der auf dem Parkplatz postierten Polizisten, dann flog das C-4 aus der Pappschachtel heraus wie ein großer grauer Schleimklumpen und landete auf den Trümmern des Armaturenbretts, wo sich mehrere »heiße« Kabel hineinbohrten wie die Nadeln von Spritzen. Der Plastiksprengstoff explodierte mit einem gewaltigen, ohrenbetäubenden Knall, röstete blitzartig die Bassey-Park-Rennbahn und verwandelte den Parkplatz in einen Wirbelsturm von weißem Licht und herumfliegenden Trümmern. John Leydecker, der unter dem Betonvordach des Bürgerzentrums gestanden und sich mit einem Cop der State Police unterhalten hatte, wurde durch eine der offenen Türen und quer durch die Halle geschleudert. Er prallte gegen die Wand und sackte bewusstlos auf den Scherbenhaufen des Glaskastens mit den Renntrophäen. Damit hatte er mehr Glück als der Mann, neben dem er gestanden hatte; der Beamte der State Police wurde gegen die Strebe zwischen zwei offenen Türen gedrückt und in der Mitte entzweigerissen.

    Die Reihen der Autos schirmten das Bürgerzentrum vor der schlimmsten hämmernden und erschütternden Wucht der Explosion ab, aber diese glückliche Fügung erkannte man erst später. Drinnen saßen über zweitausend Menschen zuerst wie vom Donner gerührt, wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten, und noch weniger verstanden sie, was die meisten von ihnen gerade gesehen hatten: Amerikas prominenteste Feministin, die von einer herumfliegenden scharfen Glasscherbe geköpft worden war. Ihr Kopf flog wie eine seltsame weiße Bowlingkugel mit angeklebter blonder Perücke bis in die sechste Reihe.
    Sie brachen erst in Panik aus, als das Licht ausging.

3
    Einundsiebzig Menschen starben bei der überstürzten Flucht zu den Ausgängen, und die Derry News berichtete am nächsten Tag unter einer Furcht einflößenden 48-Punktgroßen-Schlagzeile davon und bezeichnete es als schreckliche Tragödie. Ralph Roberts hätte ihnen sagen können, dass sie unter Berücksichtigung aller Umstände Glück gehabt hatten. Wirklich großes Glück.

4
    In der Mitte des Nordbalkons saß eine Frau namens Sonia Danville - eine Frau, auf deren Wangen noch die Blutergüsse der letzten Prügel verblassten, die sie je von einem Mann bekommen würde - und hatte die Arme um die
Schultern ihres Sohns Patrick gelegt.

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