Schlaflos - Insomnia
abgelegt, und der exakte Standort ist mir vorübergehend entfallen. Lass mir noch ein paar Jahre Zeit, dann werde ich in der Unterwäsche herumlaufen, weil mir
nicht mehr einfällt, wo ich meine Hosen gelassen habe. Gehört alles zum wunderbaren Erlebnis des Alterns, stimmt’s, Ralph?«
Ralph nickte lächelnd und dachte bei sich, dass von allen älteren Menschen, die er kannte - und er kannte mindestens drei Dutzend auf einer oberflächlichen Spaziergang-im-Park-, Hallo-wie-geht’s-Basis -, McGovern sich am meisten darüber beschwerte, in die Jahre zu kommen. Er schien seine entschwundene Jugend und die mittleren Jahre, die er hinter sich gelassen hatte, so zu betrachten wie ein General ein paar Soldaten, die am Vorabend einer großen Schlacht desertiert sind. Aber das hätte er selbstverständlich niemals ausgesprochen. Jeder hatte seine kleinen exzentrischen Schrullen; das theatralisch morbide Gehabe wegen des Älterwerdens war einfach eine von McGovern.
»Hab ich was Komisches gesagt?«, fragte McGovern.
»Pardon?«
»Du hast gelächelt, daher dachte ich, ich müsste etwas Komisches gesagt haben.« Er hörte sich ein bisschen empfindlich an, besonders für einen Mann, dem es so großen Spaß machte, seinen Hausgenossen wegen der hübschen Witwe in der Straße aufzuziehen, aber Ralph ermahnte sich, dass es auch für McGovern ein langer Tag gewesen war.
»Ich habe überhaupt nicht an dich gedacht«, sagte Ralph. »Ich habe daran gedacht, dass Carolyn praktisch immer dasselbe gesagt hat - Älterwerden ist, als würde man ein schlechtes Dessert nach einer wirklich guten Mahlzeit bekommen.«
Das war zumindest eine halbe Lüge. Carolyn hatte diesen Vergleich gemacht, aber sie hatte damit ihren Gehirntumor
gemeint, der sie umbrachte, und nicht ihr Leben als ältere Frau. So alt war sie überhaupt auch gar nicht gewesen, erst vierundsechzig, als sie starb, und bis zu den letzten sechs oder acht Wochen hatte sie immer behauptet, dass sie sich an den meisten Tagen nur halb so alt fühlte.
Auf der anderen Straßenseite sahen die Mädchen, die Hüpfkästchen gespielt hatten, auf beiden Seiten nach Autos, dann hielten sie einander an den Händen und liefen lachend über die Straße. Einen Augenblick hatte er den Eindruck, als wären sie von einem Leuchten umgeben - einer Aura, die ihre Wangen und Stirn und lachenden Augen wie ein seltsames Elmsfeuer beleuchtete. Ein wenig verängstigt kniff Ralph die Augen zu und machte sie wieder auf. Die graue Aura, die er sich um das Trio der Mädchen herum eingebildet hatte, war verschwunden, was ihn erleichterte, aber er musste bald wieder eine Mütze Schlaf bekommen. Er musste .
»Ralph?« McGoverns Stimme schien vom anderen Ende der Veranda zu kommen, obwohl er sich nicht bewegt hatte. »Alles in Ordnung?«
»Klar«, sagte Ralph. »Ich musste an Ed und Helen denken, das ist alles. Hast du eine Ahnung gehabt, wie verrückt er geworden ist, Bill?«
McGovern schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nicht die geringste«, sagte er. »Ich habe zwar ab und zu Helens Blutergüsse gesehen, aber ihren Erklärungen immer geglaubt. Ich habe mich nie für einen übertrieben leichtgläubigen Menschen gehalten, aber vielleicht muss ich diese Einschätzung einmal überdenken.«
»Was meinst du wird mit ihnen passieren? Irgendwelche Prognosen?«
McGovern seufzte, griff mit den Fingerspitzen auf den Kopf und tastete, ohne es zu merken, nach dem fehlenden Panamahut. »Du kennst mich, Ralph - ich bin ein Zyniker und entstamme einem Geschlecht von Zynikern. Ich glaube, normale menschliche Konflikte lösen sich selten so auf wie im Fernsehen. In Wirklichkeit kommen sie immer wieder und drehen sich in immer kleiner werdenden Kreisen, bis sie schließlich verschwinden. Aber sie verschwinden eigentlich nicht; sie trocknen aus wie Schlammpfützen in der Sonne.« McGovern machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Und die meisten lassen dieselben schmutzigen Rückstände zurück.«
»Herrgott«, sagte Ralph. »Das ist zynisch.«
McGovern zuckte die Schultern. »Die meisten pensionierten Lehrer sind zynisch, Ralph. Wir sehen sie kommen, so jung und stark, so überzeugt, dass es bei ihnen anders sein wird, und wir sehen, wie sie ihren eigenen Mist bauen und dann darin herumkrabbeln, genau wie ihre Eltern und Großeltern. Ich glaube, Helen wird zu ihm zurückkehren, Ed wird sich eine Weile zusammenreißen, und dann wird er sie wieder verprügeln, und sie wird wieder weggehen. Wie in einem dieser
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