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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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in der Praxis des Akupunkteurs James Roy Hong anrief. Wyzer drückte den Lautsprecherknopf des Telefons, damit Ralph die Unterhaltung mithören konnte.
    Hongs Vorzimmerdame (jemand namens Audra, die Wyzer auf einer freundschaftlichen, nicht nur beruflichen Basis, zu kennen schien) sagte zuerst, dass Dr. Hong unmöglich vor Thanksgiving einen neuen Patienten empfangen konnte. Ralphs Schultern sackten herunter. Wyzer hob eine offene Handfläche in seine Richtung - Moment mal, Ralph -, dann überredete er Audra, Anfang Oktober einen Termin für Ralph zu finden oder freizumachen. Bis dahin dauerte es zwar auch noch einen Monat, aber immer noch besser als Thanksgiving.
    »Danke, Audra«, sagte Wyzer. »Bleibt es beim Essen heute Abend?«
    »Ja«, sagte sie. »Und jetzt schalt den verdammten Lautsprecher ab, Joe. Ich hab was, das nur für deine Ohren bestimmt ist.«
    Wyzer gehorchte, lauschte und lachte, bis ihm Tränen in die Augen traten - für Ralph sahen sie wie prachtvolle flüssige Perlen aus. Dann schmatzte er zweimal ins Telefon und legte auf.
    »Alles geregelt«, sagte er und gab Ralph die Visitenkarte von James Roy Hong, auf die er Tag und Uhrzeit des
Termins geschrieben hatte. »Vierter Oktober, nicht toll, aber mehr konnte sie wirklich nicht tun. Audra ist ein guter Mensch.«
    »Das ist bestens.«
    »Hier ist die Karte von Anthony Forbes, falls Sie ihn in der Zwischenzeit anrufen wollen.«
    »Danke«, sagte Ralph und nahm die zweite Karte. »Ich stehe in Ihrer Schuld.«
    »Sie schulden mir nur einen weiteren Besuch, damit ich erfahre, wie es gelaufen ist. Ich bin besorgt. Es gibt Ärzte, die verschreiben nichts gegen Schlaflosigkeit, wissen Sie. Sie sagen, dass noch nie jemand an Schlafmangel gestorben ist, aber ich sage Ihnen, das ist Quatsch.«
    Ralph nahm an, dass ihn das eigentlich hätte in Angst versetzen sollen, aber er fühlte sich ziemlich gelassen, zumindest im Augenblick. Die Auren waren verschwunden - der hellgraue Glanz, den er in Wyzers Augen sah, als dieser über das lachte, was Hongs Vorzimmerdame zu ihm gesagt hatte, war die letzte gewesen. Er wiegte sich in dem Glauben, dass sie nur ein geistiges Zwischenspiel gewesen waren, das durch die Kombination von extremer Müdigkeit und Wyzers Anmerkungen über Hyperrealität hervorgerufen wurde. Und er hatte noch einen guten Grund für seine Zuversicht - er hatte einen Termin bei einem Mann, der diesem Mann durch eine ähnlich schlimme Zeit geholfen hatte. Ralph dachte sich, er würde sich von Hong mit Nadeln piksen lassen, bis er wie ein Stachelschwein aussah, wenn er hinterher wieder schlafen konnte, bis die Sonne aufging.
    Und da war noch eine dritte Sache: Die grauen Auren waren eigentlich gar nicht beängstigend gewesen. Sie waren irgendwie … interessant.

    »Andauernd sterben Menschen an Schlafmangel«, sagte Wyzer gerade, »aber der Leichenbeschauer schreibt normalerweise Selbstmord in die Spalte Todesursache, und nicht Schlaflosigkeit . Schlaflosigkeit und Alkoholismus haben vieles gemeinsam, aber das Wichtigste ist: Beides sind Krankheiten des Herzens und des Verstandes, und wenn man ihnen ihren Lauf lässt, vernichten sie die Seele normalerweise lange vor dem Körper. Daher kommt es doch vor, dass Leute an Schlafmangel sterben. Dies ist eine gefährliche Zeit für Sie, und Sie müssen gut auf sich achtgeben. Wenn Sie sich echt beschissen fühlen, rufen Sie Litchfield an . Haben Sie verstanden? Sitzen Sie nicht auf dem hohen Ross.«
    Ralph verzog das Gesicht. »Ich glaube, eher werde ich Sie anrufen.«
    Wyzer nickte, als hätte er fest damit gerechnet. »Die Nummer unter der von Hong ist meine«, sagte er.
    Überrascht betrachtete Ralph wieder die Karte. Es stand tatsächlich eine zweite Nummer da, daneben die Buchstaben J. W.
    »Tag und Nacht«, sagte Wyzer. »Wirklich. Sie werden meine Frau nicht stören; wir sind seit 1983 geschieden.«
    Ralph wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus. Nur einen erstickten, sinnlosen Laut. Er schluckte heftig und versuchte, den Kloß in der Kehle zu beseitigen.
    Wyzer sah, dass er mit den Tränen rang, und klopfte ihm auf die Schulter. »Kein Flennen im Laden, Ralph - das verschreckt die zahlungskräftigen Kunden. Möchten Sie ein Kleenex?«
    »Nein, mir geht es gut.« Seine Stimme klang ein wenig wässrig, aber verständlich und ziemlich beherrscht.

    Wyzer betrachtete ihn mit einem kritischen Blick. »Noch nicht, aber bald.« Wyzers gewaltige Hand verschluckte die von Ralph noch einmal, und

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