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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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über Ralphs nun leeren Stuhl, streckte das verzerrte Gesicht nach vorn, und seine Augen sahen aus wie die fantastischen, leuchtenden Kreaturen, die in den tiefsten Meeresgräben leben. Ralph hob die Spraydose und im selben Augenblick wurde ihm klar, dass er nicht wusste, in welche Richtung die Düse zeigte - möglicherweise verpasst er nur sich selbst einen Schwall Bodyguard.
    Keine Zeit, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. Er drückte das Ventil nieder, als der Mann mit dem Clownshaar gerade das Messer hob. Ein Film winziger Tröpfchen hüllte das Gesicht des Mannes ein, sie sahen aus wie das Zeug, das aus dem Lufterfrischer mit Pinienduft kam, den Ralph auf dem Spülkasten der Toilette stehen hatte. Die Gläser seiner Brille beschlugen.

    Das Resultat stellte sich sofort ein und erfüllte Ralphs sehnlichste Hoffnung. Der Mann mit dem Clownshaar schrie vor Schmerzen auf, ließ das Messer fallen (es landete auf Ralphs linkem Knie und blieb zwischen seinen Beinen liegen), griff nach seinem Gesicht und riss die Brille herunter. Die landete auf dem Tisch. Gleichzeitig leuchtete die dünne, irgendwie fettige Aura um ihn herum gleißend rot auf und erlosch, jedenfalls für Ralphs Wahrnehmung.
    »Ich hin blind!«, schrie der Mann mit dem Clownshaar mit hoher, schriller Stimme. »Ich bin blind! Ich bin blind!«
    »Nein, das sind Sie nicht«, sagte Ralph und stand zitternd auf. »Sie sind nur …«
    Der Mann mit dem Clownshaar schrie wieder und fiel zu Boden. Er wälzte sich auf dem schwarz-weiß gefliesten Boden, presste die Hände auf das Gesicht und heulte wie ein Kind, das sich eine Hand in der Tür eingeklemmt hat. Ralph konnte kleine Partien seiner Wangen wie Kuchenstücke zwischen den gespreizten Fingern sehen. Die Haut dort nahm einen erschreckend roten Farbton an.
    Ralph sagte sich, dass er den Mann in Ruhe lassen sollte, weil er vollkommen verrückt und gefährlich wie eine Klapperschlange war, aber er war zu erschrocken und schämte sich so sehr dafür, was er getan hatte, dass er diesem zweifellos ausgezeichneten Rat nicht folgte. Die Vorstellung, dass es eine Konfrontation auf Leben und Tod gewesen war, den Angreifer kampfunfähig zu machen oder zu sterben, kam ihm bereits unwirklich vor. Er bückte sich und legte dem Mann zaghaft eine Hand auf den Arm. Der Irre rollte sich von ihm weg und trommelte mit den schmutzigen, schaftlosen Turnschuhen auf den Boden wie ein Kind,
das einen Wutanfall hat. »Oh, du Hurensohn!«, schrie er. »Du hast auf mich geschossen!« Und dann, unvorstellbarerweise: »Ich werde dich verklagen, bis du dein letztes Hemd verlierst!«
    »Ich glaube, Sie werden erst mal das Messer erklären müssen, sonst werden Sie mit Ihrer Klage nicht besonders weit kommen«, sagte Ralph. Er sah das Messer auf dem Boden liegen, streckte die Hand danach aus, besann sich dann aber eines Besseren. Es wäre besser, wenn seine Fingerabdrücke nicht darauf waren. Als er sich aufrichtete, schlug eine Woge des Schwindelgefühls über ihm zusammen, und einen Moment hörte sich der Regen, der gegen die Fensterscheiben trommelte, hohl und fern an. Er kickte das Messer weg, dann richtete er sich schwankend auf und musste sich an der Lehne des Stuhls festhalten, auf dem er gesessen hatte, damit er nicht umkippte.
    Die Welt um ihn herum stabilisierte sich wieder. Er hörte Schritte aus der Eingangshalle näher kommen, dazu murmelnde, fragende Stimmen.
    Jetzt kommt ihr, dachte Ralph resigniert. Wo seid ihr vor drei Minuten gewesen, als dieser Kerl kurz davor war, meinen linken Lungenflügel wie einen Ballon platzen zu lassen?
    Mike Hanlon, der schlank und trotz seines dichten grauen Haarschopfs nicht älter als dreißig aussah, erschien in der Tür. Hinter ihm stand der Junge, in dem Ralph die Aushilfskraft für das Wochenende erkannte, und dahinter vier oder fünf Gaffer, wahrscheinlich aus dem Zeitschriftenlesesaal.
    »Mr. Roberts!«, rief Mike aus. »Herrgott, sind Sie schwer verletzt?«

    »Mir geht es gut, er ist verletzt«, sagte Ralph. Aber als er auf den Mann am Boden zeigte und an sich herunter sah, stellte er fest, dass es ihm nicht gut ging. Seine Jacke war beim Deuten zurückgerutscht, und die ganze linke Seite seines karierten Hemds hatte eine dunkelrote durchnässte Färbung angenommen, wie eine Träne geformt, die direkt unter der Achselhöhle anfing und sich von dort ausbreitete. »Scheiße«, sagte er leise und setzte sich wieder auf den Stuhl. Er stieß mit dem Ellbogen an die Hornbrille, die

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