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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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über fast den ganzen Tisch schlitterte. Mit den Tröpfchen auf den Gläsern sah sie wie ein Augenpaar aus, das der graue Star getrübt hatte.
    »Er hat mir Säure ins Gesicht geschüttet!«, schrie der Mann auf dem Boden. »Ich kann nichts sehen, und meine Haut schmilzt! Ich spüre, wie sie schmilzt!« Für Ralph hörte er sich fast wie eine bewusste Parodie der bösen Hexe des Westens an.
    Mike warf dem Mann auf dem Boden einen kurzen Blick zu, dann setzte er sich neben Ralph. »Was ist passiert?«
    »Nun, Säure war es auf jeden Fall nicht«, sagte Ralph und hielt die Dose Bodyguard hoch. Er stellte sie neben Patterns of Dreaming auf den Tisch. »Die Lady, die sie mir gab, hat gesagt, das Zeug sei nicht so stark wie Tränengas, es reize nur die Augen und verursache Übelkeit…«
    »Ich mache mir keine Sorgen, was mit ihm los ist«, sagte Mike ungeduldig. »Wer so laut schreien kann, wird wahrscheinlich nicht in den nächsten drei Minuten sterben. Ich mache mir um Sie Sorgen, Mr. Roberts - haben Sie eine Ahnung, wie stark er Sie verletzt hat, als er Sie niederstach?«

    »Eigentlich hat er gar nicht auf mich eingestochen«, sagte Ralph. »Er hat mich … mehr gepikt. Damit.« Er zeigte auf das Messer, das auf dem Fliesenboden lag. Als er die rote Spitze sah, spürte er einen erneuten Schwächeanfall. Sein Kopf fühlte sich an wie ein Schnellzug aus Daunenkissen. Das war selbstverständlich dumm und ergab überhaupt keinen Sinn, aber er war in keiner besonders vernünftigen Verfassung.
    Der Assistent sah vorsichtig auf den Mann am Boden hinunter. »Äh, oh«, sagte er. »Wir kennen den Kerl, Mike - das ist Charlie Pickering.«
    »Goodness-gracious, great balls of fire - um mal Jerry Lee Lewis zu zitieren«, sagte Mike. »Ach, du meine Güte, warum überrascht mich das bloß nicht?« Er sah den Teenager an und seufzte. »Du solltest besser die Polizei rufen, Justin. Sieht so aus, als hätten wir es hier mit einer ernsten Situation zu tun.«

5
    »Bekomme ich Schwierigkeiten, weil ich das hier benutzt habe?«, fragte Ralph eine Stunde später und deutete auf eines von zwei versiegelten Plastiktütchen, die auf dem überquellenden Schreibtisch in Mike Hanlons Büro lagen. Ein Streifen gelben Bands mit der Aufschrift BEWEISMITTEL Spraydose DATUM 3.10.93 TATORT Öffentliche Bücherei Derry war daraufgeklebt worden.
    »Nicht so viele wie unser alter Freund Charlie bekommen wird, weil er das hier benutzt hat«, sagte John Leydecker und deutete auf den zweiten versiegelten Beutel. Darin befand sich das Jagdmesser, auf dessen Spitze das
Blut zu einem klebrigen Kastanienbraun getrocknet war. Leydecker trug heute einen Footballsweater mit der Aufschrift »University of Maine«. Er wirkte damit ungefähr so breit wie eine Scheune. »Hier draußen im Hinterland halten wir noch ziemlich viel von Selbstverteidigung. Aber wir reden nicht viel darüber - das ist irgendwie, als würde man zugeben, dass man die Welt für eine Scheibe hält.«
    Mike Hanlon, der sich an den Türrahmen lehnte, lachte.
    Ralph hoffte, dass man seinem Gesicht die große Erleichterung nicht ansah, die er empfand. Während ein Sanitäter (wenn er sich nicht irrte, war es derselbe, der im August Helen Deepneau ins Krankenhaus gefahren hatte) an ihm arbeitete - er fotografierte zuerst, dann desinfizierte er, und schließlich klammerte und verband er -, saß Ralph mit zusammengebissenen Zähnen da und stellte sich vor, wie ein Richter ihn wegen des Gebrauchs einer halbwegs tödlichen Waffe zu sechs Monaten im hiesigen Bezirksgefängnis verurteilte. Hoffentlich, Mr. Roberts, dient dies als Exempel und als Warnung an alle anderen alten Knacker hier in der Gegend, die es als gerechtfertigt betrachten, Spraydosen mit lähmendem Nervengas mit sich herumzutragen...
    Leydecker betrachtete noch einmal die sechs Polaroidfotos, die an der Seite von Hanlons Computer aufgereiht waren. Der milchgesichtige Techniker der Unfallrettung hatte die ersten drei davon gemacht, bevor er Ralph zusammengeflickt hatte. Sie zeigten einen kleinen dunklen Kreis - er sah aus wie die übergroßen Kleckse, die Kinder manchmal machen, wenn sie gerade schreiben lernen - an Ralphs Hüfte. Nachdem er die Wunde geklammert und Ralph eine Erklärung hatte unterschreiben lassen, dass
man ihm eine Behandlung im Krankenhaus angeboten, er sie jedoch abgelehnt hatte, machte der Techniker noch einmal drei Fotos. Auf dieser zweiten Dreierstaffel konnte man die Anfänge eines absolut spektakulären

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