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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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dass Kreisler, sein
Chefredakteur, mit einem der Ullstein-Brüder gesprochen hatte.
Der Verlag würde riskieren, diese Geschichte zu
veröffentlichen, vorausgesetzt, dass ihr Wahrheitsgehalt
bewiesen wurde. Die Kisten könnten sogar in einem Lagerhaus
der Ullsteins verstaut werden. Vorausgesetzt, sie konnten sie
irgendwie transportieren.
    Gleich am
nächsten Morgen fuhren Kraus und Fritz mit der
Straßenbahn in den Norden Berlins, in der Hoffnung, den
Abgeordneten der Sozialisten in seiner Wohnung vorzufinden. Fritz
war ausgesprochen fröhlich und davon überzeugt, dass die
Dinge nicht so schlecht standen, wie sie aussahen. Zahllose Quellen
hatten seinen Verdacht verstärkt, dass eine geheime Allianz
zwischen von Papens Konservativen und Hugenbergs Nationalisten
Hitler bändigen, ihm die Maske vom Gesicht reißen, ihm
den Wind aus den Segeln nehmen und, wenn die Zeit reif war, ihm den
Saft abdrehen würden. »Von Schleicher hat
achtundfünfzig Tage bekommen. Ich gebe Hitler zweiundvierzig
Tage. Sechs Wochen, und keinen Tag länger. Darauf kannst du
was wetten. Ich habe es bereits getan. Zehntausend
Mark!«
    Am Bülowplatz
allerdings hatten sie das Gefühl, dass sie direkt aus der
Straßenbahn in die Kulisse eines Fritz-Lang-Films getreten
waren. Das kommunistische Hauptquartier auf der anderen Seite des
Platzes, das in gewaltige Banner mit Lenins Konterfei gehüllt
war, war von Tausenden von Nazis umringt. »Rote raus! Rote
raus!«, brüllten sie. Die Leute aus
dem Haus wurden an den Haaren herausgeschleift, durch die Tür
hinausgestoßen und gezwungen, durch ein Spalier von
Knüppeln zu laufen. Sie stolperten mit blutigen Köpfen
davon. Dann gab es ein schreckliches Klirren. Ein Fenster in einem
der oberen Stockwerke zerbarst, und zwei Braunhemden ließen
einen schreienden Mann sechs Stockwerke hoch über dem
Bürgersteig baumeln. Kraus blieb fast das Herz stehen. Das
konnten sie nicht machen. Sie würden es nicht tun. Aber wie
die Römer im Kolosseum brüllte die Menge, die Leute
reckten nach unten gestreckte Daumen in die Luft, und das Opfer
fiel mit einem grauenvollen Kreischen in die Tiefe, während es
vergeblich mit den Armen ruderte, um seinem Schicksal zu
entkommen.
    Fritz und Kraus
rannten förmlich den Block entlang. Bei Eckelmann öffnete
niemand die Tür. Die Putzfrau sagte ihnen, dass er in den
Untergrund gegangen sei, wie alle sozialistischen Abgeordneten,
jedenfalls diejenigen, die bei Verstand seien. Sie standen hilflos
da.
    »Komm«,
sagte Fritz. »Nehmen wir ein Taxi und fahren
zurück.«
    In dem Wagen strich er
sich nachdenklich über seinen Schmiss. »Ich weiß,
dass es schlecht aussieht, aber das ist nur vorübergehend, du
wirst sehen. Sobald die Kommunisten zerschmettert sind«, er
drehte sich zu Kraus herum, »wird dieser Wahnsinn ein Ende
nehmen. Darauf wette ich mein Leben.« Als sie den
Alexanderplatz erreichten, wollte er Kraus jedoch nicht gehen
lassen, bevor sie sich umarmt hatten. »Gib auf dich acht,
Bruder, ja?« Fritz hatte Tränen in den Augen.
Kraus’ Kehle schien zu brennen. Es gab keinen
unverblümteren Nazigegner in Deutschland als Fritz. Jetzt
saßen sie beide im selben Boot.
    Als Kraus aus dem Taxi
stieg, schien alles unverändert zu sein. Immer noch
strömten Menschen ins Kaufhaus Tietz hinein und hinaus. Die
langen gelben Straßenbahnen fuhren an ihm vorbei. Aber als er
die Dircksenstraße gegenüber dem Polizeipräsidium
überquerte, sah er bereits eine Hakenkreuzfahne über
Eingang sechs. Sie wehte über allen Eingängen.
    »Sie hätten
nicht kommen sollen.« Ruta starrte ihn an, als er das
Büro betrat.
    Kraus fragte sich
selbst, warum er es getan hatte. Aus Stolz? Aus Sturheit? Oder war
es schlicht Dummheit?
    »Es ist zu
schrecklich, ich kann es nicht beschreiben«, flüsterte
sie, während sie mechanisch die Kaffeemühle drehte.
»Sie haben den ganzen Polizeiapparat gesäubert. Jeder
Beamte, der kein Nazi ist, wurde entlassen. Und sie haben eine neue
Abteilung gegründet. Eine neue Geheimpolizei. Oh, Willi, warum
sind Sie nur zurückgekommen?«
    »Sieh an, sieh
an, wen der Wind da hereingeweht hat. Ich hätte nicht gedacht,
dass Sie so unverfroren sind.«
    Thurmann stand in der
Tür. Sein dünner Schnurrbart war zu einem Grinsen
verzogen. »Ich habe doch richtig prophezeit, Kraus, was? Sie
haben Ihre kleine Schlacht gewonnen.« An seiner Brust hing
das neue, glänzende Abzeichen eines Kriminalinspektors.
»Aber wir haben den Krieg gewonnen.« Sein Feixen schlug
in eine

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