Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
Vom Netzwerk:
höhnische Grimasse um. »Und jetzt packen Sie Ihr
Zeug zusammen, bevor ich Ihnen gebe, was Sie verdienen. Und was Sie
angeht, Öhmchen …« Er warf Ruta einen finsteren
Blick zu. »Passen Sie ja auf. Es sind neue Zeiten
angebrochen, falls Sie es noch nicht bemerkt haben. Und jetzt
beeilen Sie sich mit dem Kaffee!«
    Während Kraus
packte, kam Gunther herein. Er ließ den Kopf hängen. Um
den Oberarm seiner neuen, hellgrauen Uniform trug er eine
Hakenkreuzbinde. »Ich bin jetzt bei der Geheimen
Staatspolizei .« Seine Stimme zitterte.
»Geheimpolizei, kurz Gestapo.« Kraus drehte sich weg.
»Bitte, verstehen Sie mich doch, Chef. Mein Leben, meine
Familie, alles ist hier. Ich spreche keine andere
Sprache.«
    Kraus packte weiter.
Konnte er ehrlich behaupten, dass er sich an Gunthers Stelle anders
verhalten hätte?
    Gunther schluckte, und
sein Adamsapfel rutschte fast seinen ganzen, langen Hals hinunter.
»Ich kann nicht fliehen. Aber Sie, Sie müssen das
tun.«
    »Ich gehe
nirgendwo hin.«
    »Sie
müssen!« Der Blick aus den blauen Augen des jungen
Mannes schien sich in seine zu bohren. »Wenn Sie sehen
wollen, wie Ihre Söhne aufwachsen.« Kraus hörte auf
zu packen. Gunthers Wangen zuckten. »Alle eingesperrten Nazis
wurden begnadigt. Auf persönlichen Befehl Hitlers. Die
Ärzte aus Sachsenhausen sind bereits auf freiem Fuß. Ich
würde verhaftet, wenn jemand wüsste, dass ich es Ihnen
sage, aber … Ihr Name … Ihr Name steht auf einer
Todesliste!« Gunther sah zur Seite, und seine Stimme brach.
»O Gott, Chef, wie konnten sie damit durchkommen? Es gibt
keine Gerechtigkeit, überhaupt keine. Sie haben mir alles
beigebracht. Aber wofür soll ich das jetzt
benutzen?«     
    Kraus verbrachte den
restlichen Nachmittag im Café
Rippa , wo
er tat, als lese er Zeitung. Er konnte einfach keinen klaren
Gedanken mehr fassen. Er wusste, dass er denken musste, aber sein
Hirn schien blockiert zu sein. Er trank nur Kaffee und saß
herum. Trank noch einen Kaffee, saß noch länger herum.
Erst am Abend warf ein schmerzhafter Stromstoß sein Hirn
wieder an. Wenn sein Name auf einer Todesliste stand, bedeutete
das, dass er nicht mehr zu Hause schlafen konnte.
    Er fuhr nach Hause, um
zu holen, was er konnte. Auf der Nürnberger Straße
stritten sich ein paar Frauen vor seinem Haus. »Lass das
los!« – »Ich habe ihn zuerst gehabt!« Kraus
erkannte, dass sie sich um seinen Esszimmertisch stritten. Er hob
den Kopf. Seine Fenster standen weit auf, sämtliche Lichter
waren angeschaltet. Angehörige der SA warfen seine Bücher
nach draußen, seine Fotos. Das Bild seines Großvaters
segelte durch die Luft und landete krachend auf dem
Bürgersteig. Er wich zurück, ging zu seinem Wagen. Sein
Körper und sein Verstand schienen zweigeteilt zu sein. Die
eine Hälfte konnte nicht verstehen, dass dies wirklich
passierte. Und die andere Hälfte fuhr wie ein Verrückter
davon.
    Die Bäume des
Waldes griffen mit ihren drohenden Schatten wie Finger nach ihm,
als er über die dunkle, kurvige Straße zu Fritz’
Haus raste. Hier und dort schimmerten hell erleuchtete Villen in
der Nacht. Er hätte am liebsten aus Leibeskräften
geschrien, wenn das geholfen hätte. Aber letztlich bog er
grimmig schweigend in Fritz’ Einfahrt ein. Das gläserne
Haus auf dem Hügel lag im Dunkeln. Er bremste, ihm stockte der
Atem. Zwei schwarze Limousinen parkten vor dem Haus. Er umklammerte
das Lenkrad. Mein Gott! Fritz wurde von einem halben Dutzend
SA-Leuten aus der Tür gestoßen. Sein Gesicht war
kreidebleich, und seine Augen glühten vor Angst. Kraus hatte
Fritz oft gerettet, aber diese Schläger waren mit
Maschinenpistolen bewaffnet. Er betete, dass sie ihn nicht sahen.
Es klang ihm noch in den Ohren, wie Fritz am Morgen zu ihm gesagt
hatte: »Es ist vorübergehend, Willi. Darauf wette ich
mein Leben.« Gerade als sein alter Kriegskamerad in einen der
Wagen gestoßen wurde, hob er den Kopf und schien Kraus’
Blick zu begegnen. Lauf weg, du gottverdammter
Narr! ,
schien er zu rufen.
    Kraus ließ
seinen Wagen rückwärts rollen. »Hey, du da!«
Schüsse peitschen auf. Es knallte, als etwas über das
Dach streifte. Er schlug den Gang förmlich hinein und gab
Vollgas. Noch mehr Schüsse fielen, als er in den zweiten Gang
schaltete und in die Dunkelheit davonraste. Wagentüren
schlugen, ein Motor heulte auf, und dann spritzte Schotter unter
durchdrehenden Reifen gegen
Blech.    
    Sie verfolgten
ihn.
    Wenn er aus dem Wald
herauskam, konnte er diesen

Weitere Kostenlose Bücher