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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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zuvor verloren habe. Er wollte sofort einen Ersatz, für
den er persönlich zahlen würde. Aber es musste eine
exakte Kopie sein. Kaum vorstellbar, dass er so etwas verlieren
konnte! Und er hatte verlangt, dass Biebermann sich mit der
Fertigung des Ersatzes beeilte. Welchen Zweifel konnte es da noch
geben, dass Meckel, Spitzenorthopäde und langjähriger
Nazi, der Chirurg war, hinter dem Kraus her war?
    Ganz einfach. Die
Nadel war Dienstagnacht verschwunden, warum sollte Meckel seinen
Juwelier in diesem Punkt anlügen? Also konnte sie auf keinen
Fall an die Kleidung der Meerjungfrau gekommen sein, solange sie
noch lebte, weil sie am Dienstag bereits drei Tage tot gewesen war.
Die Nadel musste irgendwann von seinem Revers gestohlen worden
sein, vermutlich auf dieser Party, und dann in die Leichenhalle
geschmuggelt worden sein. Meckel mochte die bulgarische Prinzessin
in die Hölle geschickt haben, aber
er war zweifelsfrei nicht der Chirurg, der Gina Mancusos Beine
entstellt hatte.
    Jemand versuchte, ihn
hereinzulegen.
    »Vielen Dank,
Herr Biebermann. Sie waren außerordentlich
hilfreich.«
    Kraus beschloss, dem
»pensionierten« Dr. Hoffnung in seiner Wohnung in
Wilmersdorf einen Besuch abzustatten.
    Zu seiner großen
Enttäuschung jedoch erfuhr er von der Concierge des Hauses,
dass die Hoffnungs nicht mehr dort wohnten.
    »Und wo sind sie
hingezogen?«
    »Das weiß
ich nicht. Ich weiß nur, dass Sie umgezogen sind. Sie haben
keine Nachsendeadresse
hinterlassen.«    
    Zum ersten Mal
durchströmte Kraus echte Angst.
    Hoffnung und seine
Frau waren beide verschwunden, ohne eine Adresse zu
hinterlassen?
    Ihn beschlich
plötzlich das Gefühl, als würden dunkle Hände
ein Netz um ihn spinnen.
    Und er war nur eine
dumme Fliege.

 
    BUCH ZWEI
    ____________________
    Insel der
Toten

ZEHN
    »Da wartet eine
junge Dame in Ihrem Büro, Herr Inspektor.« Ruta
lächelte durch eine Wolke von Tabakrauch. »Sehr sexy.
Genau genommen eine der erotischsten jungen Frauen, der ich je
begegnet bin.« Sie trug wirklich dick auf, fand Kraus,
während sie ihn gleichzeitig mit einem mütterlich
besorgten Blick musterte. »Normalerweise würde ich eine
solche Frau nicht gutheißen. Ich würde sie für
nicht zuträglich halten. Aber bei dieser … fragen Sie
mich nicht, warum, doch ich finde sie ganz annehmbar. Vielleicht
weil sie eine Revuetänzerin ist, wie ich es einmal war. Ja,
das Fräulein Hoffmeyer und ich haben uns ausgiebig
unterhalten.«
    Kraus schloss die
Tür hinter sich.
    Paula saß mit
übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Stuhl vor seinem
Schreibtisch. Die kurze Seidenhose war verschwunden, ebenso der
Strapsgürtel und die roten Stiefel. Stattdessen trug sie ein
Kostüm, dazu passende Schuhe und eine Bluse, als hätte
ein magischer Zauberstab sie in eine ehrbare junge Frau verwandelt.
Die schwarzen, fingerlosen Spitzenhandschuhe waren einem Paar aus
Wildleder gewichen. Der Hut, hochmodern, mit hoher Krone und
schmaler Krempe, saß keck über ein Auge gezogen. Kraus
bemerkte, dass sogar ihr Rock der neuesten Mode von 1933 entsprach
und somit tragischerweise etliche Zentimeter länger war als
die Röcke im letzten Jahr. Aber sie sah phantastisch darin
aus.
    Perfekt.
    Und wie würdevoll
ihre Haltung war. Wie selbstsicher sie wirkte. Sie musste den
größten Teil der fünfzig Mark, die er ihr gegeben
hatte, für diese Staffage ausgegeben haben. Es begeisterte
ihn. Es ging um viel mehr als die Kleidung. Sie zeigte Respekt.
Sich selbst gegenüber und ihm gegenüber. Ihr Gesicht sah
ohne dieses grelle Make-up entzückend aus. Er schämte
sich, weil seine Augen plötzlich anzuschwellen schienen. Also
war es möglich. Sie konnte sich verändern. Er hatte ihr
geholfen. Und jetzt kam sie hierher, um diese Hilfe zu
erwidern.
    »Sehen Sie nicht
so schockiert drein, Herr Kriminalinspektor«, sagte sie mit
einem versteckten Lächeln. »Ein bisschen Hilfe, dann
sieht fast jedes Mädchen nett aus.«
    »Nein. Man muss
nett sein, wenn man nett aussehen will. Und Sie …« Er
senkte die Stimme. »Sie sehen einfach wundervoll
aus.«
    »Verzeihen Sie,
dass ich so unangemeldet hier hereinplatze. Aber ich dachte, Sie
wollten sofort informiert werden. Der Große Gustave
veranstaltet eine Weihnachtsparty auf seiner Jacht, diesen Samstag.
Ich habe uns Einladungen beschafft.«
    »Uns?«
    »Sie können
nicht ohne Begleitung zu so einer Veranstaltung gehen. Das tut man
einfach nicht.«
    Kraus
lachte.
    »Außerdem
brauchen Sie jemanden, der in dieser

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