Schlafwandler
nackt, bis auf diese schwarzen,
fingerlosen Spitzenhandschuhe. Ihr Anblick hatte auf ihn dieselbe
Wirkung wie ein Eimer Eiswasser. Warum hatte sie das getan? Warum
musste sie ihn daran erinnern, womit sie ihren Lebensunterhalt
bestritt?
Aber als sie sich ihm
näherte, ihm ihre großen, weißen Brüste
hinhielt, mit den langen, erigierten rosa Brustwarzen, und sie vor
Verlangen wässrige Augen hatte, wurde sein Schwanz härter
als vorher. Als sie auf ihn kletterte, durchströmte ihn ein
warmes und wundervolles Gefühl, als wäre sie ihm wie ein
Engel vom Himmel geschickt worden, um ihn von all den Jahren der
Gram zu befreien.
Dann jedoch begann er
den Moment zu fürchten, an dem sie ihn bitten würde, dass
er sie schlug. Ihm schwindelte allein bei dem Gedanken. Er hatte
seit ihrem letzten Treffen über das Thema gelesen. Nach der
Theorie etlicher Psychiater war sexueller Masochismus die
neurotische »Erotisierung« eines frühen
Kindheitstraumas. Ob das auch auf Paula zutraf oder ob es
überhaupt stimmte, war nicht der entscheidende Punkt, sondern
für ihn war es der, dass es ihm kein Vergnügen bereitete.
Er fand es sogar ausgesprochen unerfreulich. Was er tun würde,
wenn sie es erneut von ihm verlangte, wusste er nicht.
Schließlich
wollte er dieser Frau auch ihren Anteil an Glück
schenken.
Glücklicherweise
blieb sie bei ihrem Liebesspiel ebenso konventionell, wie sie bei
der Auswahl ihrer Garderobe gewesen war. Sie verbrachten den ganzen
Morgen im Bett, ja, liebten sich bis in den Nachmittag hinein. Erst
als die Sonne vor seinem Schlafzimmerfenster weiterwanderte, rissen
ihn die Glocken der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche von ihrem
Liebreiz los.
»Mein
Gott!« Er fühlte sich wirklich wie ein
Schulschwänzer. »Ich muss ins
Büro.«
Als er aus der Dusche
kam, lag sie immer noch im Bett und strich sich mit ihren
behandschuhten Händen durchs Haar. »Du kannst
hierbleiben«, sagte er. »Den ganzen Tag, wenn du
willst.«
»Wirklich?«, fragte
sie träumerisch.
»Ja. Ja,
natürlich.« Er verteilte Küsse über ihren
Hals. Als er seine Hose anzog, setzte sie sich auf und zog sich die
Decke über ihre Brüste.
»Kraus, eines
hast du mir nie erzählt. Wie ist Gina
gestorben?«
Er hielt inne, bevor
er den Reißverschluss hochzog. »Sie ist
ertrunken«, sagte er und nahm sein Hemd vom Stuhl. »In
der Havel. Ihre Leiche ist unterhalb der Zitadelle von Spandau
angespült worden.«
»Mein
Gott!«, stammelte Paula und zog mit geballten Fäusten
die Decke bis an ihren Hals hinauf. »Du meinst … sie
haben sie von dieser Jacht geworfen?«
»Nein«,
antwortete er, ohne nachzudenken.
Ihre grünen Augen
blitzten, als sie ihn ansah. Sie wollte die Wahrheit wissen.
»Woher weißt du das?«
Er stellte sich Gina
Mancusos verunstaltete Beine vor, wie sie da in dem eisigen Wasser
gelegen hatte. »Du musst mir in dem Punkt einfach
vertrauen.«
Es war fast drei Uhr,
als er ins Büro zurückkam. Er erwartete eigentlich, dass
Ruta ihm wie eine verärgerte Mutter die Leviten las, doch
stattdessen sah sie aus, als würde sie gleich der Schlag
treffen. »Willi«, stammelte sie, ohne auch nur zu
bemerken, dass sie ihn mit seinem Vornamen ansprach, was ihr sonst
nur auf Partys passierte, wenn sie getrunken hatten. »Sie
können sich nicht vorstellen, wer gerade vor zehn Minuten das
Büro verlassen hat!«
»Pancho
Villa«, flüchtete er sich in Humor.
»Nein,
nein!« Sie sah ihn unverhüllt ängstlich an und
konnte sich nicht einmal eine Zigarette anzünden. »Ein
Hauptmann der Braunhemden, … mit einer Botschaft vom
SA-Führer! Ernst Röhm lädt Sie zum Abendessen in den
Kaiserhof ein. Heute Abend um neun Uhr!«
Kraus trocknete
schlagartig die Kehle aus. Also hatte von Schleicher nicht
geblufft.
»Aber, Ruta,
wegen einer kleinen Einladung brauchen Sie sich doch nicht zu
grämen.«
Er hatte die Dossiers
der besten orthopädischen Chirurgen in Deutschland eins nach
dem anderen durchgearbeitet, aber bis jetzt schien kein anderer
etwas mit diesem Fall zu tun zu haben. Meckel mochte
möglicherweise nur der Sündenbock sein, doch welche
andere Möglichkeit blieb Kraus, als diese Spur weiter zu
verfolgen und zu versuchen, herauszufinden, wer ihm diese Falle
gestellt hatte?
»Willi, das
dürfen Sie nicht! Auf keinen Fall! Diese Kerle sind keine
Menschen!«
»Doch, Ruta, das
sind sie. Sie sind leider nur allzu menschlich!«
Das beeindruckende
Gebäude des Hotels Kaiserhof am Wilhelmplatz lag in derselben
Häuserzeile
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