Schlag auf Schlag
Alexander Cross.«
»Oder mit einer, die diese beiden beschützen will.«
Er war fertig mit dem Anziehen. Jess fand seine Krawatte scheußlich und forderte ihn auf, eine andere umzubinden. Er gehorchte. Als er startbereit war, sagte Myron: »Heute Vormittag bist du noch sicher, aber ich möchte, dass du für ein paar Tage die Stadt verlässt.«
»Wie lange?«, fragte sie.
»Weiß ich nicht. Ein paar Tage. Vielleicht auch länger. Eben so lange, bis ich die Lage wieder unter Kontrolle habe.«
»Verstehe«, sagte sie.
»Willst du darüber jetzt mit mir streiten?«
Sie stand auf und tappte durchs Zimmer. Sie war nackt. Myrons Mund wurde trocken. Er glotzte. Er hätte den ganzen Tag glotzen können. Sie bewegte sich so leicht wie ein Panter. Jede Bewegung war geschmeidig, wundervoll und von ungekünstelter Sinnlichkeit. Sie zog sich einen seidenen Morgenmantel über. »Ich weiß, dass das jetzt mein Einsatz ist, wo ich mich aufregen und erklären muss, dass ich wegen so etwas nicht mein Leben ändern werde«, sagte sie. »Aber ich habe Angst. Außerdem bin ich Schriftstellerin und kann ein paar Tage Ruhe und Einsamkeit brauchen. Also fahre ich. Kein Streit.«
Er umarmte sie. »Du bist immer für eine Überraschung gut«, sagte er.
»Wieso?«
»Weil du vernünftig bist. Wer hätte das gedacht?«
»Ich werde versuchen, weiterhin mysteriös und undurchschaubar zu bleiben«, sagte sie.
Sie küssten sich. Leidenschaftlich. Ihre Haut war wunderbar warm.
»Warum bleibst du nicht noch ein bisschen?«, flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Ich will bei Pavel sein, bevor Ache rauskriegt, was passiert ist.«
»Aber einen Kuss noch.«
Er trat zurück. »Dann musst du mich hinterher in Eis packen.« Er warf ihr eine Kusshand zu und verließ die Schlafecke. An der unverputzten Ziegelmauer neben der Tür klebten Blutreste. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Netzhemd Lees Kopf.
Draußen war nichts von Win zu sehen, doch Myron wusste, dass er in der Nähe war. Bis sie sie aus der Stadt brachten, war Jess hier sicher.
Pavel Menansi wohnte im Omni Park Central an der 7th Avenue, gegenüber von der Carnegie Hall. Myron hätte gern jemanden gehabt, der ihm den Rücken freihielt, doch es war besser, dass Win nicht dabei war. Offenbar war Win für Valerie mehr gewesen als nur ein Freund der Familie. Myron wusste nicht, wie eng diese Verbindung gewesen war oder woher sie rührte. Win hatte nur sehr wenige echte Freunde, aber für diese Auserwählten tat er alles. Der Rest der Welt interessierte ihn nicht. Irgendwie war Valerie in diesen exklusiven Kreis hineingeraten. Myron hatte ge- nug damit zu tun, seine eigene Wut im Zaum zu halten. Wenn Win hier wäre und Pavel zu seiner »Affäre« mit Valerie befragen würde, wäre das mit Sicherheit kein schöner Anblick.
Pavel hatte Zimmer 719. Myron sah auf die Uhr. Halb sieben. In der Lobby war nicht viel los. Der Fußboden wurde gewischt. Eine abgekämpfte Familie reiste ab. Die drei Kinder quengelten. Die Eltern sahen aus, als bräuchten sie dringend Urlaub. Myron schritt so entschlossen zum Fahrstuhl hinüber, als gehöre er hierher. Er drückte auf den Knopf mit der Sieben.
Der Flur war leer. Als Myron vor Pavels Zimmer stand, klopfte er. Keine Antwort. Er klopfte noch einmal. Immer noch keine Antwort. Ein letzter Versuch. Nichts. Er wollte gerade wieder zum Fahrstuhl gehen, um es mit dem Haustelefon zu versuchen, als er etwas hörte. Er horchte. Ein fast unhörbares Geräusch. Er presste sein Ohr an die Tür.
»Hallo?«, rief er.
Weinen. Gedämpft. Es wurde lauter. Ein weinendes kleines Mädchen.
Jetzt trommelte Myron gegen die Tür. Das Weinen wurde lauter, wurde zu einem Schluchzen. »Alles in Ordnung?«, schrie Myron. Weiteres Schluchzen. Aber immer noch keine Worte. So ging es noch etwa eine Minute, dann fing Myron an, Ausschau nach dem Wagen des Zimmermädchens und ihrem Hauptschlüssel zu halten. Doch es war erst halb sieben. Das Zimmermädchen war noch nicht unterwegs.
Schlösser knacken war nicht Myrons Stärke. Win konnte das erheblich besser. Außerdem hatte er nicht das nötige Werkzeug dabei. Wieder schluchzte es im Zimmer. » Machen Sie die Tür auf!«, schrie er. Als Antwort hörte er nur weiteres Schluchzen.
Scheißegal, dachte er.
Die Schulter voran, rammte Myron seinen Körper gegen die Tür. Es tat ziemlich weh, doch das Schloss gab nach. Das Schluchzen klang noch immer gedämpft, doch daran dachte Myron einen Moment lang gar nicht
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