Schlag auf Schlag
verabscheue.«
»Und tust du das?«
»Ich weiß nicht«, sagte Myron.
»Es war unheimlich«, sagte sie. »Win war unheimlich.« »Und er hat dir das Leben gerettet.«
»Ja.«
»Das ist sein Ding. Er ist gut darin - der Beste, den ich je gesehen habe. Für ihn gibt es nur Schwarz und Weiß, keine Zwischentöne oder Doppeldeutigkeiten. Wenn man eine bestimmte Grenze überschreitet, kennt er keine Gnade, gibt einem keine Chance zur Bewährung oder eine Möglichkeit, sich rauszureden. Man ist tot. Punkt. Die Männer wollten dir etwas antun. Win ging es nicht darum, sie zu rehabilitieren. Sie hatten ihre Wahl getroffen. Von dem Augenblick an, als sie in deine Wohnung eingedrungen sind, war ihr Schicksal besiegelt.«
»Klingt wie die Strategie der massiven Vergeltung«, sagte sie. »Wenn ihr einen von uns tötet, bringen wir zehn von euch um.«
»Es ist noch kaltblütiger«, sagte Myron. »Win will niemandem eine Lektion erteilen. Er sieht es als Ausrottung. Für ihn sind solche Leute nichts weiter als lästige Flöhe.«
»Und? Siehst du das auch so?«
»Nicht immer. Aber ich verstehe es. Unsere Moralvorstellungen sind unterschiedlich. Das ist uns beiden schon vor langer Zeit klar geworden. Trotzdem ist Win mein bester Freund, und ich würde mein Leben in seine Hände legen.«
»Oder meins«, sagte sie.
»Oder deins.«
»Und wie sehen deine Moralvorstellungen aus?«, fragte sie.
»Die sind flexibel. Lassen wir es dabei.«
Jessica nickte. Sie legte ihren Kopf wieder auf seine Brust. Ihre Wärme auf seinem klopfenden Herzen fühlte sich schön an. »Ihre Köpfe«, sagte sie. »Sie sind geplatzt wie Melonen.«
»Win bastelt an seiner Munition rum, sodass sie beim Auftreffen die größtmögliche Wirkung erzielt.«
»Was hat er mit den Leichen gemacht?«, fragte sie.
»Weiß ich nicht.« »Wird man sie finden?«
»Nur wenn er will, dass sie gefunden werden.«
Ein paar Minuten später fielen Jessica die Augen zu, und sie atmete gleichmäßiger. Myron sah ihr beim Einschlafen zu. Sie schmiegte sich an ihn, wirkte klein und zerbrechlich. Er wusste, wie es ihr morgen gehen würde. Sie würde immer noch unter Schock stehen - nicht so sehr ein betäubender Schock, als vielmehr ein Zustand der Verleugnung. Sie würde versuchen, sich möglichst normal zu verhalten und ihrem Tagesablauf zu folgen, als wäre nichts geschehen, doch all ihre Bemühungen um Normalität würden scheitern. Alles würde ein kleines bisschen anders sein als vorher. Nichts Weltbewegendes, nur die Details hätten sich ein bisschen verändert. Ihr Essen würde ein bisschen anders schmecken. Die Luft etwas anders riechen. Farben eine kaum wahrnehmbar andere Schattierung haben.
Um sechs stand Myron auf und duschte. Als er zurückkam, saß sie wach im Bett. »Wo gehst du hin?«, fragte sie.
»Pavel Menansi einen Besuch abstatten.«
»So früh?«
»Sie glauben, dass Aaron das Problem gestern Nacht aus der Welt geschafft hat. Vielleicht kann ich sie überraschen.«
Sie zog die Decke bis zu den Schultern hoch. »Ich habe über das nachgedacht, was du gestern beim Essen erzählt hast. Über den Mord an Alexander Cross.«
»Und?«
»Nehmen wir mal an, dass du Recht hast. Was ist, wenn vor sechs Jahren etwas anderes passiert ist?«
»Zum Beispiel?«
Sie lehnte sich ans Kopfteil des Bettes. »Vielleicht hat Errol Swade Alexander Cross gar nicht umgebracht«, sagte sie. »Mhm.«
»Ja, vielleicht hat Valerie gesehen, was Alexander Cross wirklich zugestoßen ist. Und womöglich hat das, was sie da gesehen hat, sie ganz aus der Bahn geworfen, psychisch labil wie sie war. Sie war ja schon von dem angeschlagen, was Pavel Menansi ihr angetan hatte. Und jetzt nehmen wir mal an, dass das, was sie da gesehen hat, das Fass zum Überlaufen gebracht hat.«
Myron nickte. »Und weiter?«
»Dann vergehen ein paar Jahre. Valerie erholt sich. Sie kommt wieder zu Kräften. Sie will sogar wieder Tennis spielen. Aber vor allem will sie ihrer größten Angst ins Auge sehen: Der Wahrheit über das, was damals wirklich passiert ist.«
Er merkte, worauf sie hinauswollte. »Dann müsste man sie zum Schweigen bringen«, sagte er.
»Ja.«
Myron zog sich eine Hose an. Im Laufe der letzten Monate war ein Teil seiner Kleidung in Jess' Loft gewandert. Ungefähr ein Drittel seiner Garderobe befand sich jetzt hier. »Wenn du Recht hast«, sagte er, »haben wir es jetzt mit zwei Personen zu tun, die Valerie zum Schweigen bringen wollen: Pavel Menansi und den Mörder von
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