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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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begleiten. Samstagabend, Max-Schmeling-Halle, fünftausend Zuschauer. Max Schmeling war als deutscher Meister nach Amerika gegangen und Weltmeister geworden. Er hatte den Sprung gewagt und gewonnen, gegen alle Wahrscheinlichkeiten. Aber Nadja wollte nicht mit. Nicht mal die drei Stunden Autofahrt bin ich ihr wert, dachte Mert. An einem Dienstagnachmittag fuhr er mit Ali und »Gladiator«-Cheftrainer Frank Tornung in einem Nissan Patrol nach Berlin. Sie wohnten in einem billigen Hotel im Ortsteil Wedding, nahe der Max-Schmeling-Halle. Die Bettkästen waren aus hellem Holz, ein kleiner Fernseher hing in der Ecke, knapp unter die Zimmerdecke geschraubt. Das Zimmer war so klein, dass Mert sich kaum bewegen konnte, und er hielt es nicht lange darin aus.
    Er ging nach draußen, winkte sich ein Taxi ran, gab dem Fahrer hundert Euro und ließ sich durch Berlin kutschieren. Der Fahrer klapperte die Sehenswürdigkeiten ab, das Regierungsviertel, den Friedensengel, den neuen Bahnhof. Dann fragte er Mert, ob er ins Artemis gefahren werden wolle, »Erlebnis-Puff, drei Etagen, nur vom Feinsten«. Mert lehnte ab, er fand es unter seiner Würde, für Sex zu bezahlen. Samstagabend um die gleiche Zeit würden sich schöne Frauen um ihn reißen. Stattdessen ließ er sich auf dem Rückweg etwa zwei Kilometer vor dem Hotel absetzen, vor einem Schaufenster, auf dem im Gegenlicht »No Pain, No Brain« zu lesen war. Eine Tätowierstube. Mert ging rein, der Tätowierer, ein langer Kerl mit schwarzen, strähnigen Haaren, wollte gerade schließen. Auf jeder Stelle seiner Haut, die nicht von Kleidung bedeckt war, züngelte eine Tätowierung ins Freie. Die Wände waren schwarz-weiß gefliest, Drehstühle wie in einem alten Frisiersalon standen in einer Reihe. Mit hundertfünfzig Euro ließ der Tätowierer sich überzeugen, noch eine einfache Freihandarbeit zu stechen. Fünf geschwungene Buchstaben in Schreibschrift über dem Herzen. Die Tätowiermaschine brummte wie ein großes, zorniges Insekt. Der hohe Strich des »N« zog sich drei Millimeter über den ersten Haken und mündete in einem kleinen Schnörkel. Das »a« hockte schlicht daneben, dem Rückenstrich des »d« gab der Tätowierer ein wenig Rücklage, und das »j« zog er wiederum sieben Millimeter unter die Buchstabenlinie. Das abschließende »a« mündete wieder in einem Schnörkel. Die Prozedur dauerte eine Viertelstunde. Dann schmierte der Tätowierer etwas Creme auf, klebte ein Stück Frischhaltefolie darüber und gab Mert die Anweisung, die Stelle zwei Tage nicht zu waschen. Mert lief zu Fuß zurück ins Hotel.
    Am Samstagabend saß Nadja in ihrer Wohnung und zappte mit der Fernbedienung durch die Programme. Es war das erste Mal, dass ein Kampf von Mert im Fernsehen übertragen wurde.
    Sie wusste, dass Eurosport einprogrammiert war, irgendwo bei den hinteren Stationen, zwischen Verkaufskanälen und Nachrichtensendern. Manchmal lag Mert spätabends erschöpft auf dem Sofa und schaltete so lange durch, bis er einen Kampf fand.
    Nadja drückte und drückte. Auf Kanal 27 wurde sie endlich fündig. Das Bild war nicht gut, grobkörnig und stockend.
    Sie hätte den Sender besser einstellen können, aber das gehörte zu Merts Aufgaben. Wenn er es nicht hinbekommen hatte, würde es ihr auch nicht gelingen. Sie wollte nicht riskieren, den Kampf zu verpassen.
    So starrte Nadja auf das flackernde Bild und hörte die Anfangsgitarre von »Thunderstruck«. Mert wurde in seiner Kabine gezeigt, Ali knetete ihm die Schultern. Nadja bekam Angst. Jene altbekannte Angst, die in ihre Herzkammer eindrang, sich von dort rasend schnell ausbreitete und sie krank machte. Eine andere Angst, als Mert sie einst geschildert hatte. Mert war nie ohne Hoffnung, seine Angst war Furcht. Furcht hatte eine Gestalt, er konnte sie bekämpfen. Deswegen konnte er Nadja nicht verstehen. Wenn Mert sich fürchtete, stürzte er sich auf den Grund für diese Furcht. Nadja konnte sich auf nichts stürzen, es war in ihr.
    Sie saß vor dem Fernseher, und düstere Ahnungen sogen sie in einen Abgrund. Dabei war ihre Sorge, dass Mert sich verletzen oder verlieren könnte, noch das kleinste Problem. Ein sichtbarer Punkt, auf den sie ihre Angst bündeln konnte. Ein vorgeschobener Anlass, um nicht durchzudrehen.
    Nach dem Kampf würde sie unglaublich erschöpft sein, es kaum vom Sofa bis ins Bett schaffen, aber jetzt musste sie sich erst mal aus den Panikschüben herausarbeiten. Es war hart genug, nicht mitzufahren, zu Merts großem

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