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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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Arbeit, in die Mittagspause, zurück nach Hause. Und am nächsten Tag war wieder fast alle Energie aufgebraucht, bis sie endlich aus dem Bett gekommen war.
    Mert war zu einem Fremden geworden, der mit ihr zusammenlebte, aber nichts von ihren Nöten ahnte oder wegsah, um nicht in die Verantwortung genommen zu werden. Wenn er fragte, wie es ihr ging, ließ er sich mit einem »Gut« als Antwort abspeisen. Er musste doch spüren, wie zersplittert sie war, wie durchlässig, wie ihr ganzes Sein nur noch von Verzweiflung zusammengehalten wurde.
    Felix hatte sie eingeladen, den Kampf gemeinsam mit ihm und Angelika anzuschauen. Sogar Jörg durfte wach bleiben, um Onkel Mert boxen zu sehen. Nadja hatte abgelehnt. Zu Hause konnte sie wenigstens tun und lassen, was sie wollte. Sie musste sich nicht noch der Anstrengung aussetzen, beobachtet zu werden. Felix wurde unruhig, wenn er spürte, dass es ihr nicht gut ging, und das machte alles nur schlimmer. Dann würde er Angelika zu einem Gespräch mit Nadja drängen, für das ihm selbst die Worte fehlten.
    Auch Felix verstand nicht, wieso Nadja nicht mit nach Berlin gefahren war, und noch weniger, wieso sie den Kampf nicht wenigstens mit ihm und seiner Familie sehen wollte. Doch Gesellschaft führte Nadja vor Augen, wie wenig sie sich verständlich machen konnte, wie isoliert sie war. Der einsamste Mensch im Universum, bestraft mit einem Mann, der sich nur für sein neues Leben interessierte.
    Und wie immer, wenn sich diese Gedankenkette verselbstständigt hatte, blieb Nadja am Ende nur Scham. Weil sie so undankbar war, obwohl sie doch wusste, dass Mert trotz allem bei ihr blieb.
    Nachdem der Ansager die Vorstellung beendet hatte, wurden den Kämpfern die Mäntel abgenommen. Ein dunkler Fleck auf Merts Brust irritierte Nadja. Ein Sponsor, von dem er nichts erzählt hat, dachte sie. Oder er hatte es erzählt, und sie hatte es überhört. Dann wechselte der Kameraauschnitt, zeigte Mert in einer Nahaufnahme, von der Stirn bis zum Brustbein, und sie konnte ihren Namen auf seiner Brust lesen. Sie erkannte sogar die leichte Rötung um den geschwungenen Schriftzug herum, so neu war die Tätowierung.
    Sie musste sich sammeln, sah auf den Bildschirm, konnte sich aber kein Bild davon machen, was sich abspielte. Nach dem Gong zur zweiten Runde stand Nadja auf, ging vor dem Fernseher auf und ab. Sie setzte sich für den Rest des Kampfes nicht mehr, weil sie sah, dass Mert an diesem Abend den Kürzeren zog. Er boxte gut. Er tat, was er am besten konnte, entfachte ein Schlaggewitter, zog seinen Gegner ins Chaos und traf dann mit harten linken und rechten Fäusten. Aber Andreas Sidon war ein Veteran, älter noch als Mert, aber fünfzehn Zentimeter größer und mit der Erfahrung von über vierzig Profikämpfen im Körper. Er ließ Merts Attacken nur momentweise zu, dann befreite er sich und boxte wieder seinen eigenen Stil. Unbequem, auf seine größere Reichweite und seine Nehmerfähigkeiten vertrauend. Wenn Mert ihn traf, schnellte Sidons Kopf zur Seite oder in den Nacken, aber er wankte nicht. Und in der Konterattacke traf er Mert häufiger und klarer. Am Ende von zwölf Runden war die Entscheidung knapp. Alle drei Punktrichter hatten Sidon vorn, wenn auch nur mit zwei bis vier Punkten. Mert würde nicht in die USA reisen, Nadja würde in kein Flugzeug steigen müssen, sie konnten in ihrem Leben bleiben.
    Vielleicht würden sie sich wiederfinden, die Chance ergreifen, alles wieder so zu machen wie früher. Es war vorbei.
    Nadjas Erleichterung war so groß, dass sie erst nach Minuten wieder daran denken konnte, wie schwer diese Entscheidung für Mert wiegen musste. Sie erkannte es, als die Kamera sein Gesicht zeigte und sie einen Ausdruck bei ihm sah, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Nicht bei ihrer Trennung oder als er zitternd in ihrer Küche saß und sie wieder zusammenkamen. Auch nicht, wenn sie ihm Monat für Monat erklären musste, dass sie nicht schwanger war. Merts Gesicht zuckte, seine Unterlippe bebte. Er blinzelte, schloss die Augen im Sekundentakt, weil er sich das Weinen verkniff.

43
    Mert hat Ross Gordon unterschätzt. Nun sieht er sich einem jüngeren, schwereren und größeren Mann gegenüber, der auch noch über eine gute Technik verfügt. Mert wird schnell klar, dass er Gordon nicht schlagen kann, indem er härter tritt und schlägt. Er braucht eine Überraschung, einen günstigen Moment, in dem er seine Erfahrung ausspielen kann. Aber dazu lässt Gordon es nicht kommen.

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