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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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sieht zu, während er versucht, sich in den Spagat zu zwingen.
    Dann geht Nok mit dem Jungen los. Mert hört die Ankündigung der Kämpfer, die jaulende Musik, die zum Ritual vor einem Kampf gehört. Er hört den Applaus.
    Als Nok wenig später mit dem Jungen zurückkehrt, hat sich bereits ein Schweißfilm auf Merts Brust gebildet. Den Kranz hat er sich auf den Schädel gesetzt und ein farbiges Bändchen um seinen Oberarm geknotet. Der Junge hat gewonnen, durch K. o. in der dritten Runde. Eine Schlagkombination. Nun ist es an ihm, auf Merts Brust zu deuten und ein Victory-Zeichen zu machen.
    Nok zieht Mert die Handschuhe an und lässt ihn noch ein paarmal in seine offenen Hände schlagen. Dann kommt auch schon Mister Sambot in die Kabine. Er hat 5.000 Baht auf Mert gesetzt. Wenn Mert gewinnt, stehen ihm zusätzlich zur Kampfbörse tausend Baht Wetteinnahmen zu. Mister Sambot sieht das als persönliche Motivation, er macht das vor jedem Kampf. Und Mert vermutet, dass er es auch mit jedem Boxer macht. Bestimmt hat Mister Sambot kurz zuvor Ross Gordon genau dasselbe erzählt, zehn Meter weiter, in dessen Kabine.
    Mert stellt sich hinter Nok, sie werden aufgerufen. Es geht schnell an solchen Abenden, zehn Kämpfe hintereinander, das Publikum will keine langen Pausen. Sie gehen los, Nok hat Merts Oberkörper mit Tigerbalsam eingerieben, das kühlt in der Hitze. Mert ist aufgeregt und zufrieden. Alles ist weit weg, nur der Ring ist nah, der Moment. Mert blickt auf Noks Rücken, während sie zum Ring laufen. Der alte Thai-Boxer, der jünger ist als Mert, bahnt ihm den Weg. Nok wirkt wie eine Sprungfeder unter Spannung. Hinter Mert läuft der Junge, trägt Eimer und Handtuch. Als Lohn für seinen Sieg darf der Junge zusammen mit Nok in Merts Ecke. Nok drückt die Seile runter, dann steigt Mert in den Ring, ins Licht.

42
    Die Verträge waren gemacht. Scheinwerfer leuchteten auf einen Punkt in der Zukunft, auf ein Quadrat, in Las Vegas, in New York, in Atlantic City. Wenn Mert mit Nadja in Streit geriet, ging es oft um Amerika.
    »Du bist zu alt! Wie lange willst du denn noch boxen?«
    »So lange, bis ich damit um die Welt gekommen bin.«
    Mert hatte alle zwölf Kämpfe als Profi gewonnen, neun davon durch K. o. Er liebte das Wort »Profi«. Wenn Nadja oder Felix von Profis sprachen, klang es verächtlich. Als Amateursport war Boxen eine ritterliche Auseinandersetzung, bei der Verletzungen nicht ausblieben, aber vermieden werden sollten. Ein guter Kampf bedeutete für Felix, dass am Ende von drei mal drei Minuten geklärt war, wer über die bessere Technik verfügte. Profis ließen sich seiner Meinung nach für Körperverletzung bezahlen.
    Mert aber fühlte sich wertvoll, seitdem er mit dem, was er gut konnte, Geld verdiente. Es ging nicht um Punkte, um bessere Technik, es ging darum, wer am Ende noch stand. Mert hatte Punktrichter im Rücken, die nicht nach klaren Treffern Ausschau hielten, sondern den Kämpfer belohnten, der nach vorne ging, auch auf die Gefahr hin, selbst einzustecken. Mert war stark und unerbittlich. Er war vermarktbar. Es sprach sich schnell herum, dass Mert Schulz nicht immer die schönsten Kämpfe ablieferte, aber spektakulär boxte. Eine besondere Erregung begleitete seine Auftritte.
    Wenn das Gitarren-Intro zu »Thunderstruck« ertönte, ein kreischendes Vibrato, zu dem Schweinwerfer zuckten, war die Menge schon in seinem Bann. Dann kam der Chorus, der Schlag der Basstrommel, den die Scheinwerfer mit einem rhythmischen Aufleuchten betonten. Die gepresste Stimme des Sängers, ein Anstieg bis zum Bruch. Ein kurzer Moment der Ruhe, bevor der Song richtig lostobte. Mit dem Gitarren-Inferno kam Mert aus dem Tunnel, die Kapuze seines Mantels trug er nie über dem Kopf. Er wollte gesehen werden. Die Haare hatte er sich ganz kurz geschoren, da sie ihm am Hinterkopf ausfielen und sein Alter verrieten. Mert schritt nicht zum Ring, er sprang von einem Fuß auf den anderen, so wirkte er angriffslustig und unberechenbar. Die Hallen waren größer geworden, die Show besser, die Nummern-Girls trugen höhere Absätze. Wenn Mert endlich in den Ring stieg, durch die Seile, die Ali ihm auseinanderdrückte, war »Thunderstruck« schon zur Hälfte gespielt. Mert tänzelte und feuerte Schläge in die Luft.
    Nach seinem elften Sieg wurde Mert gefragt, ob er um den Titel des deutschen Meisters im Schwergewicht boxen wolle, gegen Andreas Sidon. Merts Träume nahmen daraufhin Dimensionen an, die für eine Dreizimmerwohnung

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