Schlag weiter, Herz
in Altona zu groß waren.
Nadja sah sich Merts Kämpfe nicht mehr an. Seit dem Kampf mit Felix war sie nie wieder bei einer Boxveranstaltung gewesen. »Profi-Boxen ist Schau«, sagte sie. »Das ist mehr Zirkus als irgendeine Form von Sport.« So erlebte Nadja nicht, wie besonders diese Momente für Mert wurden, wenn sie voll ausgeleuchtet waren und Hunderte von Menschen gleichzeitig seinen Namen brüllten. Mert spürte eine Kraft, die nicht aus seinem Körper kam. Eine Euphorie, die ihn über Grenzen trieb. Im Rausch der eigenen Herrlichkeit ließ Nadja ihn allein.
Mert vermutete, dass etwas anderes hinter ihrer Weigerung steckte als bloßes Prinzip. Eine tiefere Abneigung, die weniger mit der Art der Veranstaltung zu tun hatte als mit Mert selbst, mit einem Teil seiner Person, der Nadja unangenehm war. Er konnte sich trösten, es gab immer eine, die mit ihm feierte. Und da seine Kämpfe selten in Hamburg stattfanden, musste er ohnehin nicht nach Hause. Er war auf Urlaub von seinem Alltag.
Wenn Mert als Held zu der Frau zurückkehrte, die er liebte, traf er nicht mehr auf die Nadja, die er einmal zu kennen glaubte. Sie war abwesend, in sich gekehrt. Sie sprach nicht mehr viel mit ihm. »Gut« war das Einzige, was Mert zu hören bekam, wenn er fragte, wie es ihr ging. Keine Ausführung, keine Klage. Ein Wort wie eine Doppeldeckung. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht schwanger wurde. Oder dass er sich seine Träume ohne sie erfüllte. Dabei hätte er Nadja so gerne dabei gehabt. Er wollte wissen, was sie von all dem dachte, vom Rampenlicht, dem Publikum, den Reportern, auch wenn ihm gewiss nicht jeder Kommentar gefallen hätte. Mert kehrte zurück, 11000, 14000, einmal sogar 27000 Euro reicher, zu einer Frau, die kaum ertrug, wenn er länger als fünf Minuten von seinem Erfolg erzählte.
Dann kam das Angebot zur deutschen Meisterschaft und kurz darauf der Anruf aus den USA. Nadja musste am Telefon dolmetschen. Sollte Mert deutscher Meister werden, dürfte er als Kämpfer bei der »Tuesday Fight Night of Heavyweights« in Atlantic City antreten. Flug und Hotel wurden gezahlt, inklusive Begleitperson. Von dort aus waren die Möglichkeiten unbegrenzt. Alles schien vorstellbar. Mert würde Mike Tyson die Hand schütteln und nicht mehr nur den Klitschkos.
Nadja versuchte sich mitzufreuen, aber ihre Begeisterung wirkte aufgesetzt. Mert kämpfte dagegen an, mit Gesprächen, mit Liebesbeweisen, mit Geschenken. Aber was er auch tat, es zerschellte an Nadjas Laune. Alles, was mit seiner späten Karriere zusammenhing, schien dadurch vergiftet zu werden, dass Nadja seinen Beruf ablehnte. Sogar das viele Geld, das er nach Hause brachte, war verseucht durch ihre Sorge und dadurch nichts mehr wert.
Sie sahen sich nicht viel in dieser Zeit. Mert trainierte im Gladiator Gym, in dem Ali Assistenztrainer geworden war. Ali bestritt selbst noch Kämpfe, aber in seiner Gewichtsklasse schlug das Alter umbarmherziger zu, er war zu langsam geworden. So trat er nur noch an, wenn ein anderer Kämpfer ausfiel, der Veranstaltung zuliebe.
Mert trainierte elf Einheiten die Woche. Unter der Woche morgens und nachmittags, an Samstagen nur nachmittags. Mert ging, bevor Nadja aufstand, ruhte sich mittags kurz zu Hause aus und kam abends spät vom Training. Die Wochenenden verbrachte Nadja in Hauskleidung, sie schlief bis mittags und wurde eigentlich gar nicht richtig wach. Sie unternahmen nur selten etwas gemeinsam, obwohl Mert sie trotz seiner Erschöpfung gerne ausgeführt hätte, zum Essen oder ins Kino. Wenn er unter Leute ging, wurde er gelegentlich erkannt, und zweimal musste er sogar ein Autogramm geben. Beim zweiten Mal war Nadja dabei. Ein wenig Spott lag in ihrem Lächeln, als er seinen Namen auf eine Eintrittskarte kritzelte.
Mert war über die Jahre stur geworden. Wer hart schlagen wollte, musste hart trainieren, wer durchhalten wollte, musste etwas einstecken können. »Qualität kommt von Qual«, so hatte er es tausendmal über der Tür von Kalles Trainerkabine beim BC Einigkeit gelesen. Diesen Leidensstolz übertrug Mert auf seine Liebe. Nach seinen Kämpfen ließ er sich von anderen Frauen feiern, aber er wollte Nadja. Die alte Nadja. Wenn die sich hinter einer Wolke aus Missgunst und schlechter Laune versteckte, dann musste er eben warten und weitermachen, bis sie wieder auftauchte.
Eine Woche vor seinem Kampf um die deutsche Meis terschaft unternahm er einen erneuten Anlauf. Er bat Nadja noch einmal, ihn nach Berlin zu
Weitere Kostenlose Bücher