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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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Beweis zu stellen, das eine Sportförderung betrieb, die im Westen unerreicht war. Genau wie sie es im Osten gelernt hatten, setzte Borau seinen linken Fuß nach vorne, drehte sich und stand plötzlich im Neunziggradwinkel zu Zlatan. So befreite er sich aus der Ringecke, und Zlatan wurde von der Wucht der eigenen Attacke herumgeworfen. Im Gegensatz zu Borau nahm er die Hände nicht schnell genug zur Deckung hoch und kassierte eine Serie von sieben Schlägen, fünf davon gegen den Kopf. Die letzte Linke schlug Borau nur noch aus dem Lehrbuch, weil man eine Aktion bei Lokomotive Görlitz nie beendete, ohne sich mit einem Sicherungsschlag außer Gefahr zu bringen. Zlatan rutschte in der Ecke zu Boden.
    Felix war noch nie so stolz auf seinen Vater gewesen. Doch Nadja, die sich zitternd im Mantel ihres Bruders versteckte, konnte nur mit Mühe ihre Gefühle kontrollieren. Sie hatte sich gewünscht, dass Zlatan ihren Vater zerstören würde. Dass Heinrich Borau endlich für seine Selbstgerechtigkeit bestraft wurde. Dass er keine Bedrohung mehr darstellte, für Zlatan nicht und auch für sonst niemanden. In dem Moment, in dem ihr Vater in den Ring gestiegen war, hatte sie gehofft, dass seine Macht gebrochen wurde. Im selben Moment, in dem ihr dieser Wunsch bewusst wurde, schämte sie sich dafür und bedauerte, dass sie das Glück ihres Bruders nicht teilen konnte.
    Heinrich Borau strich die fünfhundert Mark ein, nahm sein Hemd ruhig vom Ringseil und zog es über seine schweißnasse Haut. Anschließend schlüpfte er in seine Schuhe, und als er sich wieder aufrichtete, brandete erneut Jubel auf. Er verbeugte sich klassisch, beide Arme zur Deckung geschlossen, in alle vier Richtungen und verließ den Ring ein letztes Mal als Sieger. Zurück an der frischen Luft kühlte er in seinem feuchten Hemd schnell aus, aber sein Hochgefühl trieb ihn dazu, noch etwas herumzuschlendern und möglichst viel des leicht verdienten Geldes an Ort und Stelle auszugeben. Weit kam er damit nicht, die Auswahl war begrenzt und wiederholte sich schnell. Seinem Sohn kaufte er einen Schaumstoffhammer, seiner Tochter ein riesiges Lebkuchenherz, das ihren Brustkorb fast verdeckte, als er es ihr umhängte. Das Band des Herzens schnitt ihr in den Nacken. Dann verließen sie den Dom. Der alte Borau hielt zur Feier des Tages ein Taxi an, ließ seine Kinder hinten einsteigen, setzte sich neben den Fahrer und las die Adresse der Jacobsens vor. Während der Fahrt unterhielten er und Felix sich über den gerade gewonnenen Kampf. Doch für Nadja war der Abend vergiftet.
    Als Nadja von dem Kampf erzählte, verstand Mert nicht, was daran schlimm gewesen war.
    »Das ist das erste Mal, dass du was Nettes über deinen Vater erzählst.«
    »Es war nicht nett. Mein Vater ist kein netter Mann. Er hat nur seinen Willen bekommen.«
    »Aber das ist doch Ewigkeiten her. Ich glaub, es gibt nicht mal mehr Rummelboxen.«
    »Trotzdem. Zwing mich nicht, dorthin zu gehen.«
    »Ich bin ja nicht dein Vater.«
    »Nein, das bist du nicht. Du bist das Gegenteil.«
    »Ist das gut?«
    »Das ist gut. Du hast mich nie zu irgendwas gezwungen.«
    Nadja hatte wieder diesen Gesichtsausdruck, den Mert nicht deuten konnte. So als würden in ihrem Kopf dunkle Wolken aufziehen.
    »Wir müssen da nicht hingehen. Aber vielleicht magst du es noch mal versuchen. Reingehen in die Angst.«
    Mert zuliebe gab sie nach. Sie zogen sich warm an und gingen zum Heiligengeistfeld. Nadja wirkte scheu, als sie über den Rummel gingen. Überall lärmte, leuchtete und pfiff es. Ein großer Sensenmann köpfte eine Hexe, in ihren Augenhöhlen blinkten bunte Glühbirnen. Verliebte drückten sich in wild kreisenden Fahrgeschäften aneinander. Essensgerüche stiegen ihnen in die Nase.
    »Was isst man denn hier?«, fragte Nadja, als wäre sie in einem fremden Land und Mert mit den Riten der Einheimischen vertraut.
    »Alles, was du magst.«
    »Was ist denn typisch?«
    »Pofertje, so kleine runde Pfannkuchen mit Apfelmus. Oder was mit Fisch.«
    »Toll. Und was ess ich jetzt?«
    »Von mir aus lässt du dir Pofertje in Hering wickeln. Wir können machen, was wir wollen.«
    Sie stopften sich die Mägen voll, mit Matjes-Brötchen, Waffeln, Pofertjes. Dann fuhren sie »Tornado« und »Mega-Max«, bis ihnen schlecht wurde. Sie konnten tatsächlich machen, was sie wollten. Sie mussten nichts sein und nichts vorgeben. Sie blieben, bis ihnen die Nasen abfroren. Auf dem Weg zum Ausgang kamen sie an einer Schießbude vorbei. Mert

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