Schlag weiter, Herz
verbessern. »Transformers 3«, »Pirates of the Caribbean 4« und natürlich »Rocky Balboa«. Auch ein paar alte Filme, die er mit Nadja gesehen hatte und deren Handlung er bereits kennt. »Braveheart«, »Austin Powers« und »Titanic«. Außerdem »Tyson«, eine Dokumentation über Mike Tyson. Mert hatte gehofft, die Kämpfe seines großen Idols noch mal studieren zu können.
Als junger Mann hatte Mert die perfekte Zerstörung bewundert, die Tyson anrichtete. Mert legte seine Schichten im Hans-Albers-Eck so, dass er Tysons Kämpfe gemeinsam mit den Kollegen auf Premiere sehen konnte, im Goldenen Handschuh, einer Kneipe am Hamburger Berg. Tyson entfesselte seine Fäuste auf zwei Fernsehern gleichzeitig. Er boxte seine Gegner nicht aus, er bestrafte sie dafür, dass sie sich mit ihm in den Ring getraut hatten. Oft dauerten die Kämpfe nur wenige Minuten, aber es waren Zeitspannen für die Ewigkeit.
In der Dokumentation saß Tyson herum und redete. Der Held seiner Jugend, der Mann, der so war, wie Mert hatte werden wollen, war depressiv und sprach wie ein junges Mädchen. Gegen Ende des Films hätte Mert heulen können, er wusste nicht mal, warum. Tyson, im Halbschatten, fasste seine Karriere zusammen mit den Worten: »Old too soon, smart too late.« Dabei war Tyson kaum älter als Mert, er konnte immer noch in Form kommen, ein letztes Mal alles wagen, auch auf die Gefahr hin, im großen Stil unterzugehen. So wie Rocky Balboa. Aber Tyson wollte oder konnte nicht mehr. Aus dem gewaltigsten Kämpfer, den Mert je gesehen hatte, war ein normaler Mann geworden.
20
Ihren ersten richtigen Streit hatten Nadja und Mert wegen Mike Tyson. Über vier Jahre hatten sie ihre Rituale und Routinen gefunden, einen Alltag, der vertraut vor sich hinlief. Sie mussten sich gelegentlich daran erinnern, miteinander zu schlafen, so selbstverständlich war die Möglichkeit, dass sie immer seltener genutzt wurde, vor allem wenn Mert im Wettkampftraining stand und abends entkräftet nach Hause kam.
An diesem Abend ließ er sich in den Stuhl hinter dem kleinen Küchentisch fallen, wo er Nadja dabei zusehen konnte, wie sie Tomaten und Mozzarella in Scheiben schnitt, Putenaufschnitt dekorierte und Bananen zerteilte, um aus Merts Ernährungsprogramm etwas Ansprechendes zu machen.
»Hast du gehört? Mike Tyson hat irgendwo in Skandinavien wieder einen Kampf gemacht«, sagte Nadja gedankenverloren, um ein Gespräch zu führen.
»Dänemark. Ja, der ist nicht mehr der Alte.«
»Hat Tyson seine beste Zeit nicht schon lange hinter sich?«, fragte Nadja und zerhackte Basilikum.
»Dem wurde seine beste Zeit gestohlen.«
»Inwiefern gestohlen?«
»Da hat er halt im Knast gesessen.«
»Weil er eine Frau vergewaltigt hat.«
»Der ist so was von verarscht worden.«
Nadja drehte sich um.
»Inwiefern verarscht?«
»Das war doch eine einzige Verarsche, um ihm Geld rauszuleiern.«
»Du meinst, die Frau wollte Geld?«
»Was denn sonst?«
Nadja legte das Messer beiseite und wischte sich die Hände am Küchentuch ab.
»Du meinst, sie hat sich die Vergewaltigung ausgedacht, um ihn zu erpressen?«
»Auf jeden Fall.«
»Das ist hoffentlich nicht dein Ernst.«
Mert war leer. Er hatte Mühe, überhaupt gerade am Tisch zu sitzen, so ausgepumpt fühlte er sich. Er spürte noch, dass sich etwas zusammenbraute, aber er kannte keine andere Möglichkeit, als auf einen Angriff mit einer Gegenattacke zu reagieren.
»Was hat sie denn nachts um vier in seinem Hotelzimmer zu suchen?«
»Vielleicht wollte sie ihn kennenlernen, den großen Boxweltmeister.«
Mert schüttelte den Kopf und lächelte müde.
»Was ist daran lustig?«
»Du meinst, er hat sie nachts in sein Hotelzimmer gelassen, um mit ihr zu labern?«
»Er hat sicher gedacht, dass er noch Sex bekommt.«
»Das muss sie auch gedacht haben.«
»Und das gibt ihm das Recht, sie zu vergewaltigen?«
»Kein Mensch weiß, ob er sie wirklich vergewaltigt hat.«
»Doch, sie und er wissen es.«
»Ja, und er sagt, er hat sie nicht vergewaltigt.«
»Und weil er Boxweltmeister ist, hat er recht?«
»Keine Ahnung, das hat doch damit nichts zu tun.«
Nadja ließ das Abendbrot halb gemacht stehen, suchte in ihrer Handtasche nach Zigaretten, öffnete das Küchenfenster und setzte sich aufs Fensterbrett, um zu rauchen. Das machte sie immer so, einerseits aus Rücksichtnahme auf Mert, der sich in der Wettkampfvorbereitung bereits vergiftet fühlte, wenn Qualm in seine Richtung wehte. Andererseits, um sich
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