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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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selbst eine Hürde zu setzen. Sie hatte schon vor ihrer Zeit mit Mert aus dem Fenster geraucht, aber er hielt es für eine Liebeshandlung. Normalerweise setzte sie sich auf die Fensterbank, nachdem sie miteinander geschlafen hatten. Nadja rauchte nur in besonders guten oder besonders schlechten Momenten, und es war eindeutig, zu welcher Kategorie dieser Moment gehörte.
    »Vielleicht wollte sie auch mit ihm schlafen, aber dann hatte sie eben keine Lust mehr und hat Nein gesagt.«
    »Was soll er denn davon halten?«
    »Du glaubst also, wenn sie in sein Zimmer kommt, dann gibt sie alle Rechte ab. Dann darf er sie vergewaltigen, auch wenn sie plötzlich nicht mehr will. Auch wenn sie es sich anders überlegt hat.«
    »Keine Ahnung.«
    »Und wenn wir beim nächsten Mal ins Schlafzimmer gehen und miteinander schlafen wollen und ich es mir anders überlege, weil ich keine Lust mehr habe, dann darfst du mich auch vergewaltigen?«
    »Natürlich nicht. Was soll das denn?«
    »Das hast du mir gerade erklärt.«
    »Ich habe mich nur gefragt, was sie in seinem Zimmer wollte.«
    »Du hältst es also für wahrscheinlicher, dass die Frau ihn ausgetrickst hat, als dass ein Typ wie Tyson, der nur Comics liest und beruflich Leute vermöbelt und schon Vorstrafen hat, weil er Menschen auf offener Straße zusammenschlägt, einfach keine Grenzen mehr kennt?«
    »Keine Ahnung.«
    »Vielleicht findest du Tyson so toll, dass du denkst, er hat das Recht dazu.«
    »Bestimmt nicht.«
    »Aber du verehrst ihn doch.«
    »So wie der früher geboxt hat, das war nicht von dieser Welt.«
    »Dann darf er sich vielleicht auch mehr herausnehmen als wir Normalos. Rockmusiker dürfen ja auch Hotelzimmer verwüsten, Groupies vögeln und ihre Freundin verprügeln. Wer mehr leistet als andere, darf sich auch mehr rausnehmen.«
    Nadja war schneidend geworden. Sie versuchte das Gesagte ironisch zu betonen, aber es misslang. Mert fühlte sich verspottet. Nadja zündete sich eine zweite Zigarette an, das tat sie sonst nie.
    »Ich habe noch nie eine Frau geschlagen oder irgendwas mit ihr gemacht, was sie nicht gewollt hat.«
    »Bei dir wollen ja auch alle.«
    »Was soll das denn jetzt heißen?«
    »Nichts.«
    Nadja rauchte. Mert schwieg. So lange, bis er in die Stille hinein explodierte. Er stand ruckartig auf, griff sich den Tisch und warf ihn hoch in die Küchenzeile. Teller zerbarsten, eine Schranktür flog aus der Angel. Ein Schrankelement brach von der Halterung und blieb schräg an der Wand hängen, eingeklemmt zwischen Dunstabzugshaube und dem nächsten Schrankteil. Mert ging ins Schlafzimmer, zog seine Kleidung aus, ließ sie vor dem Bett liegen und legte sich hin. Eine Weile war es still. Dann hörte er Nadja, die in der Küche hantierte, vermutlich die Scherben aus dem Mozzarella klaubte, den Tisch aufstellte, die Tür aufhob. Er hörte, wie sie später ins Schlafzimmer kam und sich ins Bett legte. Doch er hielt seine Augen geschlossen und versuchte gleichmäßig zu atmen, damit sie nicht bemerkte, dass er wach war. Er hörte sie weinen und leise schluchzen. Er war sich nicht sicher, ob Nadja nur simulierte, damit er sich zu ihr umdrehte. Mert blieb regungslos. Irgendwann hatten sich sein Ärger und die Aufregung gelegt, die Erschöpfung war übermächtig, und er wurde in den Schlaf gesogen.
    Als Mert am nächsten Morgen aufwachte, lag Nadja nicht mehr neben ihm. Auch die Küche war leer. Er sah auf die Uhr an der Wand, es war Viertel nach zehn. Nadja war schon zur Arbeit gegangen. Sie hatte die gröbsten Schäden beseitigt. Es war alles geputzt, nur das Schrankelement hing noch schräg, und die Tür stand an die Heizung gelehnt. Mert kochte sich Kaffee. Er saß am Küchentisch und betrachtete das schiefe Schrankelement. Er machte sich Rührei, aß zwei Bananen und ging laufen, durch Planten un Blomen und die Wallanlagen. Beim Laufen durfte er nicht daran denken, dass ihn nichts antrieb außer der Aussicht auf etwas mehr Luft im nächsten Kampf. Sonst wäre er sofort stehen geblieben. Er stellte sich vor, wie die Welt unter ihm hinwegglitt, dass er nur abhob und aufsetzte, um die Erdrotation zu verstärken. Er lief, bis ihm die Lunge brannte, bis seine Füße schmerzten, bis er nicht mehr weiterkonnte. Dann kehrte er um und lief den ganzen Weg zurück. Mert hatte Lust daran entwickelt, sich zu quälen, sich selbst zu überwinden. Das Entscheidende war, dass man immer noch etwas mehr aus sich herausquetschen konnte, dass man mehr schlagen und länger

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