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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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erinnerte sich auch daran, dass es ihm als jungem, dummem Anfänger ebenso ergangen war. Er wusste, wie es sich anfühlte, wenn man seinen Peiniger später bezwingen konnte, und er gönnte Mert den Erfolg. In die Erkenntnis der eigenen Unterlegenheit mischte sich Stolz, etwas in Mert hervorgebracht zu haben, das immer mit Stefan verbunden bleiben würde. Kein Boxer vergisst sein erstes Mal. Stefan zog seinen Handschuh wieder an. »Los, eine Runde geht noch, oder kannst du nicht mehr?«, fragt er Mert.
    Von diesem Tag an war Mert die Nummer eins bei Kalle und beim BC Einigkeit. Die Fortgeschrittenen grüßten ihn respektvoll, die Anfänger räumten die Geräte, wenn er an einem bestimmten Sandsack trainieren wollte.
    Immer wieder erschienen Neue beim Training, die ihren Eifer unter Beweis stellen wollten und Kalle Löcher in den Bauch fragten. Doch Kalle konnte nie erklären, warum man machen musste, was man tat. Typen, die in jeder Rundenpause wissen wollten, wie man einen Schlag zu schlagen hatte, wie eine Serie korrekt ausgeführt wurde, hatten einen schweren Stand bei Kalle. Wenn ihr Eifer sie dazu trieb, schon nach kurzer Zeit zu fragen, wann sie endlich in den Ring durften, schickte Kalle sie zum Sparring mit Mert. Die meisten kamen danach nicht wieder. Und diejenigen, die wieder kamen, fragten nicht noch mal nach. Die wenigen, die sich durchbissen und beim nächsten Sparring trotzdem versuchten, Mert zu treffen, hatten die Chance, etwas zu lernen. Mert zeigte ihnen ab dem zweiten oder dritten Aufeinandertreffen, was sie alles falsch machten. Ein Junge namens Theo entwickelte sich gut und brachte die nötige Mischung aus Größenwahn und Demut mit, die ein Boxer braucht. Bevor er zum dritten Mal mit Theo in den Ring stieg, fragte Mert: »Wie heißt du noch mal?«
    »Theo.«
    »Mert.«
    Sie stießen die Handschuhe aneinander, dann nahm er Theo auseinander.
    Zu Hause blieb Stefan der Chef. Nicht nur weil Mert Untermieter war, sondern weil der Respekt unter Boxern vorgibt, dass der ältere, auch wenn er nicht mehr in der Lage ist, den jüngeren in Schach zu halten, so behandelt wird, wie er auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit eingestuft wurde. Gegen das Alter kann keiner siegen, also bleibt ein Kämpfer, nachdem er nicht mehr aktiv ist, das, was er früher einmal war. Olympiasieger, Olympiateilnehmer, Weltmeister, Europameister, Landesmeister, Pokalsieger, Stadtmeister oder, wenn kein Titel vorliegt, einfach Killer, Keule, Walze, Ramme, Stinker, Beule, Großer, Kleiner, Dicker, Alter. Wenn Stefan zum Training erschien, was immer seltener der Fall war, wurde er als Meister angesprochen, obwohl sein letzter Sieg bei der norddeutschen Meisterschaft im Mittelgewicht sechzehn Jahre zurücklag.
    Außerhalb des Boxvereins war Stefan ein geselliger Mensch. Er verdiente viel Geld mit einem Sicherheitsdienst, indem er Personal zum Personenschutz und für Security-Dienste bei Großveranstaltungen vermietete. In seiner Boxkarriere hatte Stefan genug starke Männer kennengelernt, denen das Adrenalin nicht gleich die Sinne vernebelte, wenn eine Situation außer Kontrolle geriet.
    Als Mert sich beklagte, dass er an drei Abenden die Woche an der Tür zu wenig verdiente, bot Stefan ihm an, in der Firma auszuhelfen. Mert begleitete Filmdarsteller, die Premieren besuchten, zog bei Konzerten Ohnmächtige aus der ersten Reihe oder sorgte für die Bewachung von Halbweltpersönlichkeiten, die an Paranoia litten.
    Diese Jobs ließen Mert genug Zeit für sein Training, und wenn er abends nach Hause kam, setzte er sich häufig zu den illustren Gestalten, die ihre Küche bevölkerten. Stefan hatte immer Besuch, von Mitarbeitern, Freunden oder Bekannten. Die Abende wurden spät. Es kamen auch Frauen, und manche blieben bis zum nächsten Morgen, bei Mert oder Stefan.
    Mert hätte zufrieden sein können, und manchmal fühlte er sich auch so. Aber immer wieder sprangen ihn Gedanken an Nadja an. Wenn er ein Lied hörte, das sie gemeinsam gehört hatten. Wenn ein Film im Fernsehen lief, den sie zusammen gesehen hatten. Wenn Mert mit einer Frau im Bett lag, die nicht Nadja war.
    Auf einem Ärztekongress, bei dem Mert als Sicherheitsmann arbeitete, traf er Constanze wieder. Sie schien sich über ihr Wiedersehen zu freuen, die Erinnerung an ihren verkorksten Abschied auf der Reeperbahn war verblasst. Als die Veranstaltung zu Ende ging, fand Mert sie an die letzte offene Bar gelehnt. Constanze hatte schon einiges getrunken und kam direkt zur

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