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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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und zurück. Ins Hinterland fährt er selten. Überall bauen sie wie verrückt, so als würde das Grün der Insel von den Rändern her weggefressen. An jeder Kreuzung erheben sich graue Betonskelette hinter Baugerüsten aus Bambus. Es wird nicht mehr lange schön bleiben, denkt Mert. Vielleicht ist es das schon nicht mehr. Mert fragt sich, ob die Thais in zwanzig Jahren bereuen werden, was sie heute alles falsch machen. Doch vermutlich werden sie dann denken, dass es so laufen musste, und sich mit dem zufriedengeben, was ihnen bleibt. Mit den Resten einer vergangenen Zeit, deren Schönheit man erst vermisst, wenn man sie verloren hat.
    Mert rast die zweispurige Straße links am stockenden Verkehr vorbei, der Hund hat sich beruhigt oder mit seinem Leben abgeschlossen. Als Mert in den Rückspiegel blickt, sieht er ihn die Schnauze in den Wind halten. In Phuket-Stadt dauert es eine Weile, bis Mert einen Tierarzt findet. Es gibt nicht viele Haustiere auf der Insel, außer Vögeln, die eher in den Müll geworfen als zum Arzt gebracht werden. In der Nähe des Lebensmittelmarktes entdeckt Mert schließlich eine Praxis. Eine junge Thailänderin öffnet die Tür. Sie trägt einen weißen Kittel und spricht gutes Englisch. Als Mert den Hund aus der Tasche befreit, scheint dieser erleichtert zu sein, was auch daran liegen kann, dass er die ganze Tasche vollgeschissen hat. Die Ärztin säubert den zitternden Hund mit einem Schlauch, während Mert versucht, seine Tasche unter dem Wasserhahn auf der Toilette auszuspülen. Der Hund ist gesund und fit, zumindest versteht Mert die Tierärztin so. Sie drückt dem Hund eine Paste in die Schnauze, rasiert am linken Vorderbein etwas Fell weg und setzt eine Spritze. Tollwutimpfung, Wurmkur, den Rest versteht Mert nicht. Alles in allem kostet ihn seine gute Tat zweitausendzweihundert Baht.
    Auf der Rückfahrt rührt sich nichts in Merts Tasche, der Hund scheint von den Impfungen geschwächt zu sein. Mert nimmt ihn mit zu sich in die Wohnung. Dort schläft der Hund einen Tag durch, während Mert sich in der Garküche nebenan die Reste einpacken lässt und sie ihm mitbringt. Am Morgen des zweiten Tages ist der Hund wiederauferstanden. Er bellt Mert um sieben Uhr morgens wach, weil er nicht in die Wohnung machen will. Mert lässt ihn raus, dann kocht er sich einen Kaffee, isst seine Bananen, seinen Müsliriegel, macht seine Gymnastik, Liegestütze, Bauchaufzüge, trinkt einen zweiten Kaffee, zieht sich die Laufschuhe und eine Turnhose an und geht runter. Der Hund erwartet ihn.
    »Na, Ali, gehen wir laufen?«
    Der kleine Ali reagiert auf die Anrede. Er legt den Kopf zur Seite.
    »Du trägst jetzt einen großen Namen, das ist dir hoffentlich klar.« Der Hund springt auf, dann laufen sie los.

28
    Die Nächte in der Küche wurden ausschweifender, die Gäste zahlreicher. Es dauerte Ewigkeiten, bis Mert begriff, dass Stefan sein Geld nicht nur mit Sicherheitsdienstleistungen verdiente. Als Mert eines Abends spät vom Training nach Hause kam, packte ein junger Mann, den Mert noch nie zuvor gesehen hatte, Kokain auf den Küchentisch und hackte sich eine Line zurecht. Stefan wollte einschreiten, hatte es aber zu spät bemerkt. Es lag etwas Entblößendes in diesem Moment. Stefan fühlte sich ertappt und sah Mert über den Tisch hinweg an, mit einer Mischung aus Ärger und Unsicherheit. Die Sache an sich war nicht so unangenehm wie das damit verbundene Eingeständnis, dass Stefan seine Gäste angewiesen hatte, sie vor Mert zu verheimlichen.
    Mert zuckte mit den Schultern. Er fühlte sich wohl in ihrer Wohngemeinschaft, was Stefan sonst mit seinem Leben anfing, ging ihn nichts an.
    In den folgenden Wochen wunderte sich Mert, dass ihm nicht viel früher aufgefallen war, was sich nachts in ihrer Küche abspielte. Dass niemand müde wurde und es immer wahnsinnig viel zu erzählen gab.
    Als Mert am darauffolgenden Sonntag im Morgengrauen von seiner Schicht im Hans-Albers-Eck nach Hause kam, gesellte er sich zu einer Runde Übriggebliebener. Neben ihm saß eine Frau mit merkwürdigem, schwer verständlichem Dialekt. Ihre Haare hatte sie zum Mittelscheitel gekämmt wie die Jungfrau Maria auf einem Heiligenbildchen. Sie arbeitete in einer Werbeagentur, kam aus Wien und war fasziniert von den Clubs auf der Reeperbahn.
    Nachdem sie Mert gefragt hatte, was er mache, kam er nur so weit zu erzählen, dass er boxte. Dringend wollte sie wissen, wie es sei, einen Menschen bewusstlos zu schlagen. Mert versuchte ihr zu

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