Schlag weiter, Herz
verloren und war nun alleinerziehender Vater von vier Kindern. Mert hatte nur um den Titel geboxt, Sidon um sein Leben. Klar, dass Mert da verlieren musste – es gab zu diesem Zeitpunkt niemanden mehr, für den es sich zu kämpfen gelohnt hätte.
Mert setzt sich an den Ring und wartet, bis er zu schwitzen aufhört. Dann zieht er sich ein trockenes T-Shirt an, damit er sich auf dem Motorrad keine Erkältung holt. Das ist ihm trotz der permanenten Hitze schon zweimal passiert. Er sitzt neben dem Ring und beobachtet Nok. Der arbeitet mit einem jungen Thai, der mit aller Gewalt gegen die Pratze tritt, immer und immer wieder. Viel konstanter, als Mert es noch kann. Nun soll der Junge gegen die Pratze schlagen. Aber er schlägt zu kurz oder zu lang, schiebt den Ellbogen beim Schlag raus und lässt die Faust stehen, anstatt sie schnell zurückzuziehen. Noks Missfallensrufe tönen bis in den Nachbarort. »Mett!«, ruft er. Mert steht auf und tritt an den Ring. Nok wedelt mit der Pratze, bittet Mert, in den Ring zu steigen, um dem Jungen die Schläge zu zeigen.
Mert stellt sich vor den Jungen, zeigt ihm, wie man die Faust bei einer Geraden kurz vor dem Auftreffen dreht, wie man die Schulter hochzieht, um während des Schlagens gedeckt zu sein, wie man sie schnell zurückzieht.
Der Junge reagiert bockig. Mert zieht sich Handschuhe über und lässt den Jungen eine Linke schlagen. Bevor der Junge sie zurückziehen kann, trifft ihn Merts Konter, ganz leicht, wie ein Klaps zur Ermahnung. Dann versuchen sie es umgekehrt. Mert schlägt, zieht aber seine Linke so schnell zurück, dass der Junge nur die Deckung trifft. So wechseln sie sich ab, bis der Junge den Bewegungsablauf begriffen hat. Dann demonstriert Mert ihm die Rechte, Aufwärtshaken, Seitwärtshaken. Knappe, geschlossene Schläge, die kaum Raum für Gegenattacken lassen. Dazu ein paar einfache Kombinationen.
Bei aller Härte gewinnen auch beim Thai-Boxen häufig die Kämpfer, die über eine bessere Schlagtechnik verfügen. Tritte sind zerstörerisch, aber langsam und leicht auszurechnen. Mert und der Junge arbeiten im Ring, bis die Sonne untergegangen und außer Nok und einer Putzfrau niemand mehr im Gym ist.
»Close!«, ruft Nok. Mert hält dem Jungen zum Abklopfen seine Faust hin, der Junge tippt mit seinem Handschuh dagegen. Als sie aus dem Ring geklettert sind, will der Junge etwas sagen. Er versucht es auf Thai, aber Mert schüttelt den Kopf. Dann macht der Junge einen Kick. Dabei deutet er auf Mert und verzieht das Gesicht, während er mit der Hand wedelt. Er scheint nicht mit Merts Tritttechnik einverstanden zu sein. Dann zögert der Junge, konzentriert sich auf das, was er gerade gelernt hat, wiederholt die letzte Schlagkombination, so schnell und so gut er kann, und zeigt danach wieder auf Mert. Er pfeift anerkennend und fächert sich mit dem Handschuh Luft zu.
»Thank you«, sagt Mert. »Sawatdii.«
Mert dreht sich um und will zu seinem Motorrad gehen. Der Junge tippt ihm auf die Schulter. Er deutet mit einem fragenden Gesichtsausdruck auf Mert und reißt die Arme zur Siegerpose hoch.
»Yes«, sagt Mert und spreizt Zeige- und Ringfinger zum Siegerzeichen. Ich habe gewonnen, denkt er. Mehr, als ich verloren habe.
34
Mert begleitete Stefan zu allen Geschäftsabschlüssen, die Arbeit im Hans-Albers-Eck war nur noch Tarnung. Stefans Kokainhandel hatte sich zu einer Hauptbeschäftigung entwickelt. So sehr Mert auch zu verdrängen versuchte, was vor sich ging, er steckte tief mit drin. Stefan hatte den Bereich der Kleinkriminalität verlassen. In der Küche stapelten sich Pakete, die aussahen wie verpackte Koteletts.
Es ging nicht mehr darum, Schnösel auszunehmen, indem man kleine Portionen mit Babynahrung oder Speed zu vielen Briefchen streckte. Stefan machte viel Geld, dicke Euro-Bündel lagen tagelang ungezählt in der Wohnung herum. Mert dealte nicht, damit beruhigte er sich. Ich tue nur einem Freund einen Gefallen, sagte er sich immer wieder. Doch die Menge würde ausreichen, um Stefan und auch ihn lange ins Gefängnis zu bringen.
Mert begleitete Stefan in Lofts, große Wohnungen und vor Clubs, wo das Geschäft im Auto abgewickelt wurde. An einem siedend heißen Samstagnachmittag fuhren sie in eine schicke Ecke von Eimsbüttel, in der Nähe des Klostersterns. Tausende Menschen, die alle gleich aussahen, erledigten ihre Einkäufe. Die Männer trugen Seitenscheitel, die Frauen knielange Röcke.
»Musikproduzent, braucht immer was für seine
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