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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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lehnte sich in die Ecke. Er blutete aus Rissen über beiden Augen, seine rechte Hand fühlte sich an, als sei sie gebrochen.
    Felix kam erst nach einer Minute wieder zu Bewusstsein. Eine Minute, die Mert eine Ewigkeit Zeit ließ, Angst zu haben. Angst davor, dass Felix nicht mehr aufstehen würde. Angst, einen Fehler gemacht zu haben, der sich nie mehr korrigieren ließ.
    Merts Traum hatte sich erfüllt, aber das Ergebnis war nur Zerstörung. Mert fürchtete sich vor sich selbst.
    Als Felix wieder zu sich kam, sah seine linke Gesichtshälfte aus, als habe er sich eine Mandarine unter die Wange geschoben. Sein Unterkiefer war gebrochen, nicht an der Seite, wo die Sollbruchstelle lag, sondern im dicksten Teil des Knochens. Merts Arm wurde nicht in die Höhe gereckt, sein Sieg nur verkündet. Niemand gratulierte. Sanitäter halfen zuerst Felix aus dem Ring, dann Mert. Die Nacht verbrachten beide durch ein Stockwerk getrennt im Klinikum der Universität Eppendorf. Keiner von ihnen würde in diesem Jahr Hamburger Meister werden. Felix war besiegt, und Mert würde mit seiner gebrochenen rechten Hand lange Zeit nicht boxen können.
    Mert lag in seinem Krankenzimmer, zwei frische Nähte im Gesicht, den Arm in einer Schiene, sein halb gegessenes Abendbrot vor sich auf einem Wagen mit ausklappbarer Tischplatte. Als die Schmerzmittel Wirkung zeigten, stemmte er sich noch ein paar Sekunden gegen den Schlaf. Er hörte das leise Schnaufen des Mannes, der mit ihm im Zimmer lag, sah auf den Fernseher, der ohne Ton lief. Ich hab dich geschlagen, dachte Mert. Du hast mehr Kombinationen drauf als ich, eine bessere Grundschule, aber heute bist du nicht zurückgegangen, und ich hab dich hart getroffen. Ich hab dich erwischt, und ich hab dich geschlagen.
    Am nächsten Morgen musste Mert auf seine Entlassung warten, bis das Ergebnis der Kernspintomografie vorlag. Er stand neben einem Arzt, der Schichtbilder seines Gehirns auf einen Leuchtkasten steckte. Auf einem Schild, das an der rechten Brusttasche des Arztes hing, stand »Prof. Dr. Zorn«. Professor Zorn war so alt, dass Mert es nicht schätzen konnte. Seine grauen Augenbrauen ragten auf seine Stirn wie bei einem Uhu.
    »So weit haben Sie keine Folgeschäden zu befürchten. Eine Gehirnerschütterung, aber sonst ist in Ihrem Kopf noch alles in Ordnung.« Er drehte sich zu Mert. »Dass es nicht gerade gesund ist, was Sie da machen, wissen Sie vermutlich.«
    Mert nickte.
    »Dann können wir Sie nach Hause schicken. Sie müssen in zwei Wochen wiederkommen, um die Schiene abnehmen zu lassen. Für die Hand werden Sie Reha brauchen, so ein Bruch kann Komplikationen mit sich bringen. Die Hand ist sehr komplex aufgebaut. siebenundzwanzig Knochen, dazu Sehnen und Muskeln, sehr komplex.«
    Mert betrachtete seine linke Hand, machte eine Faust und öffnete sie wieder. Seine Rechte steckte in einer blauen, leichten Schale. Mert hatte einen Gips erwartet, auf den man draufschreiben konnte.
    »Wird meine Rechte wieder?«
    »Vermutlich schon, das bekommen wir hin.«
    »Das ist meine starke Hand. Wenn ich die nicht mehr schlagen kann, fehlt mir was.«
    »Wissen Sie, mich schmerzt der Gedanke, dass ich Ihre Hand wieder richte, nur damit Sie mit ihr wieder zuschlagen können. Es hat schon einen Sinn, warum die Hand so komplex aufgebaut ist. Man soll damit behutsam und fest greifen können, eine Zitrone ausdrücken, aber auch einen Faden durch ein Nadelöhr schieben können.«
    »Ich muss sie nur zur Faust schließen. Die Faust verlängert meinen Arm.«
    Professor Zorn kratzte sich am Kopf und strich sich die Augenbrauen nach oben. Dann fragte er: »Kennen Sie Hermann Kant?«
    »Nein. Wer ist das?«
    »Ein Schriftsteller. Ich habe ein Buch von ihm gelesen, nachdem ich schon mal so einen wie Sie hier hatte. ›Das Impressum‹ heißt es. Es gibt darin eine Stelle, die lautet etwa so: Weißt du, wie viel Angst die Ärzte haben, es könnte ihnen einer bewusstlos werden? Weißt du, was sie anstellen, um dir deine Leber zu erhalten? Hast du eine Ahnung, wie die sich abstrampeln, für ein bisschen mehr Leben für uns alle? Und da stellen wir zwei Jungs in einen Ring und sagen ihnen: Nun haut euch mal, und wer den anderen ein Stück tot kriegt, der hat gewonnen.«
    Mert sah den Professor an. »Danke«, sagte er schließlich, lächelte schief und ging.
    Auf dem Weg zum Ausgang überlegte Mert, ob er Felix besuchen sollte. Aber das Risiko, Nadja dort zu treffen, erschien ihm zu groß. Einer zweiten Begegnung

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