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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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Monaten so, es irritierte ihn, wie das Knistern einer Schallplatte. Aber er hatte sich einfach auf die Musik konzentriert. Nun war die Nadel aus der letzten Rille gelaufen, und Mert hörte es nur noch knacksen. Da Ali die Ursache dieses Störgeräusches war, wünschte Mert, er würde verschwinden.
    Ali erinnerte ihn daran, dass es niemanden gab, den er verantwortlich machen konnte, außer sich selbst.
    »Noch was? Oder willst du mir weiter auf die Nerven gehen?«, fragte Mert schließlich, weil er keine Möglichkeit sah, sich zu verteidigen.
    »Wollte nur fragen, ob du wieder zum Training kommst.«
    »Dafür bist du extra hergekommen?«
    »Du hast ja immer noch kein Handy, du Assi.«
    »Ich komm, wenn die Hand wieder geht.«
    »Wann?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Wird nicht leichter, je länger die Pause ist.«
    »Vielleicht lass ich es auch bleiben.«
    Ali sah erschüttert aus.
    »Mensch, Alter.«
    »Was?«
    »Das ist ’ne große Sache.«
    »Wieso? Bringt doch nichts, die ganze Ackerei. Die paar Pokale und Urkunden. Man kann sich nicht immer quälen.«
    »Was willst du denn sonst machen?«
    »Das, was ich immer mache.«
    »Koks dealen?«
    Mert zuckte zusammen. Da jeder wusste, dass er mit Stefan zusammenwohnte, konnte die Unterstellung schnell die Runde machen, wenn Merts Kollegen Alis Bemerkung gehört hatten.
    »Spinnst du oder was? Ich verchecke nichts, das weißt du doch wohl.«
    »Schlechtes Gewissen hast du trotzdem.«
    »Hab ich nicht.«
    »Sonst hättste nicht so reagiert.«
    »Hau ab.«
    »Was?«
    »Hau ab.«
    »Drehst du jetzt durch?«
    »Hau ab.«
    Ali ging. Er lief den Hans-Albers-Platz runter, drehte sich noch mal um und erkannte, dass Mert ihm hinterhersah. Er stellte sich in Boxerpose auf, nicht wie er sonst stand, mit weit vorgezogener Schulter, sondern frontal, so wie Mert. Zum Erstaunen der Huren, die hinter ihm standen, schlug Ali eine Serie in die Luft, die er mit einem wuchtigen rechten Haken beendete. Anschließend zog er sein Bein in einer tänzerischen Bewegung zur Seite, um den imaginären Androwitsch wie einen Baum auf den Ringboden fallen zu lassen. Dann verschwand er in der Menge.

33
    Mert klappert die Stände ab, die mit Taschen, T-Shirts, Schnitzereien und Schmuck handeln. Er findet ein Lederband, das um den Hals des kleinen Ali passen müsste. Er will ihn eigentlich nicht an die Leine legen. Aber nun, da der Hund ihm ans Herz gewachsen ist, würde Mert es bedauern, wenn er nachts erschlagen und verscharrt wird, weil er sich auf ein fremdes Grundstück verirrt. So wissen die Menschen am Strand, dass er zu jemandem gehört.
    Mert setzt sich auf sein Motorrad und fährt zum Training. Er macht sich warm, dehnt sich, dann arbeitet er mit Nok an den Pratzen. Schläge, Serien. »Pan, Hook, Pan!«, brüllt Nok. »Pun« bedeutet »Punch«, so bezeichnet Nok eine Gerade. Mert hat sich an die Begriffe gewöhnt. Dann Tritte. Rechtes Bein, ein langer Schwung, vom hinten stehenden Bein ausgeführt, die Hüfte reindrücken und den rechten Arm runternehmen, damit Wucht in den Kick kommt.
    Die Thais taktieren nicht, sie boxen nicht an, um den Gegner zu beschäftigen. Jeder Schlag und jeder Kick ist auf maximale Zerstörung ausgelegt. Mert vergisst, beim Schwung die Faust runterzunehmen, zu lange hat er verinnerlicht, niemals die Deckung fallen zu lassen. Nok jault auf, als habe Mert ihn verletzt. Mert wiederholt den Kick, diesmal korrekt. Nok jubelt, er drückt seine Meinung stets unmittelbar und deutlich aus. Jubel oder Jaulen. Anders als früher in Hamburg, wo geschwiegen oder getadelt wurde. Mert mag das, es motiviert ihn. Er wird es genauso machen. Nach zehn Minuten an den Pratzen gibt Nok ihm einen Schluck zu trinken und schüttet ihm Wasser über den Kopf, das an der Brust hinunterrinnt und die Hose durchnässt. Dann machen sie weiter. So arbeitet Mert zwei Stunden, bis Nok beschließt, es sei genug für heute.
    Nok ist zufrieden, Mert ist zufrieden. Er hat Kraft, er kann noch was aus sich rauspressen. Er wundert sich manchmal, wo die Energie herkommt. Als er seinen letzten richtigen Boxkampf um die deutsche Meisterschaft gegen Andreas Sidon verloren hatte, saßen beide anschließend bei einem Bier zusammen. Die wenigen Journalisten, die sich für die Begegnung interessiert hatten, waren verschwunden. Sidon trug seinen rechten Arm in einer Schlinge, Mert drückte einen Eisbeutel auf sein linkes Auge.
    »Du musst für etwas kämpfen«, sagte Sidon. Er hatte durch einen Autounfall seine Partnerin

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