Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
Vom Netzwerk:
dann kommt der Hund etwas schneller zu ihm an den Tisch, lässt sich den Nacken kraulen und rollt sich zu Merts Füßen ein. Mert schnuppert an der Hand, mit der er den Hund gestreichelt hat. »Wir müssen dich mal wieder duschen«, sagt er. Der kleine Ali hebt den Kopf und schaut unglücklich.
    »Heute gehen wir nicht mehr laufen«, erklärt Mert. »Nur noch drei Tage bis zum Kampf. Ich muss mich erholen.«
    Mert sortiert die Fotos und Auschnitte nach Jahren. Er wirft Ali seinen Knetball hin, damit der Kleine was zu spielen hat. Der Hund braucht eine halbe Minute, um den Ball zu Gummikrümeln zu zerbeißen. Mert springt auf, reißt den Hund am Halsband zurück und entschuldigt sich sofort. »Tut mir leid, Ali, das kannst du ja nicht wissen.« Er schaufelt die Krümel mit der rechten in seine linke Hand, überlegt noch kurz, ob er sie aufheben soll, und wirft sie dann weg.
    Er klatscht in die Hände, der Hund springt an ihm hoch, und sie gehen runter auf die Straße.
    Die Tage unmittelbar vor einem Kampf werden Mert lang. Die Anspannung ist wie ein Bauchschmerz, bei dem er nicht weiß, ob er durch Essen besser oder schlimmer wird.
    Merts Vermieter sitzt vor dem Haus. Er redet auf Mert ein, erklärt ihm etwas. »Keine Ahnung«, antwortet Mert, »ich habe wirklich keine Ahnung.«
    Mert und Ali spazieren die Straße entlang.
    Mert grüßt nach links und rechts mit einem Kopfnicken. Er lächelt, die Leute lächeln zurück. »Happy face«, sagt er leise zu sich.
    Nadja hatte ihm einmal erklärt, dass Lachen hilft, auch wenn es nicht echt ist. »Es hat etwas mit Programmierungen im Kopf zu tun«, sagte sie. »Der Kopf kann zwar zwischen falschem und echtem Lächeln unterscheiden, aber trotzdem sickert etwas durch, sogar vom falschen.« Morgens stand sie dann vor dem Spiegel und lächelte sich selbst zu. Sie tat das phasenweise, und wenn Mert sich darüber lustig machte, sah sie wieder so ernst drein wie zuvor. Doch von dieser Marotte ließ sie sich nicht abbringen, bis es ihr besser ging.
    Also lächelt Mert, und die Menschen lächeln zurück. Ali trottet mit heraushängender Zunge neben ihm her, die Lefzen hat er zurückgezogen, um sich zu kühlen. Dadurch sieht es aus, als würde sogar der Hund lächeln.
    Mert setzt sich in eine Garküche, auf einen der Plastikhocker, die um die Metalltische herumstehen. Es gibt keine Speisekarte. Mert deutet auf ein Huhn, das im Glaskasten hängt. Die Köchin fragt ihn etwas. Er nickt, lächelt, sie lächelt zurück. Dann macht sie sich daran, ihm etwas zuzubereiten. Der Hund hält Wache vor dem Tisch, seine spitzen Ohren stehen nach oben. Mert isst sein Huhn, es schmeckt gut, scharf und frisch. Wenn ihm die Schärfe zu viel wird, stopft er sich etwas gekochten Reis in den Mund. Er isst sein Essen zu zwei Dritteln auf, den Rest stellt er Ali hin. Mert hat gehört, dass man Hunden kein Huhn geben soll, weil die Knochen splittern und dem Tier gefährlich werden können. Aber wie jeder Straßenköter weiß Ali, wie er ein Huhn zerkauen muss, damit nur noch Brei im Magen ankommt. Ali liebt Huhn. Er liebt allerdings auch Rind, Schokolade, Müsliriegel, Bananen und isst sogar Fisch.
    Wenn Mert Heimweh hat, dann nach dem Geschmack der Currywurst beim Grünen Jäger. Dort wo die Taxifahrer nachts ihre Zwischenmahlzeit einnehmen. Mert sehnt sich nach dem feinen Regen in Hamburg, der keine Tropfen bildet, sondern nur zu spüren ist, wenn das Gesicht feucht wird. Er vermisst den Blick auf die Alster, wenn die S-Bahn über die Lombardsbrücke bollert. Das Lachssteak mit Bratkartoffeln in der Fischhütte unten am Hafen kann er fast auf der Zunge schmecken. Aber selbst wenn er nach Hamburg zurückkehren sollte, die Fischhütte gibt es nicht mehr. Der Hafen ist schick geworden. Mert erkannte ihn schon nicht mehr, als er noch dort lebte. Er fragt sich, ob der Currywurststand wohl überlebt hat.
    Mert sehnt sich nicht nach einem Ort zurück, sondern nach einer anderen Zeit. Dahin kann er nicht mehr. Ob hier oder dort, macht keinen Unterschied. Ali würde er gerne wiedersehen, den großen kleinen Ali. Felix auch. Sogar den alten dummen Kalle Trabert vermisst er gelegentlich. Er fragt sich, ob Constanze einen neuen Liebhaber hat, und wie es Stefan wohl ergangen ist. Die vielen großen und kleinen Begegnungen, Monika Speehahn, Piotr Androwitsch. Sie bleiben in seinem Kopf, wie sie damals waren. Dabei muss Monikas Sohn erwachsen sein, Androwitsch boxt vermutlich schon seit Jahren nicht mehr. Menschen, die

Weitere Kostenlose Bücher