Schlag weiter, Herz
wollte: »Sieh her, ohne dich hätte ich das nicht geschafft.« An diesem Abend bot Ali an, sich in dem Fitnesscenter, in dem er arbeitete, nach einem Job für Mert zu erkundigen.
»Ist so ein Schickilacki-Ding, Holmes Place – ich sag immer John-Holmes-Place. Die suchen Trainer. Du sitzt ja wieder gut im Strumpf, da kannst du sicher Kurse geben.«
»Braucht man dafür nicht einen Schein?«
»Fitnessfachwirt oder so. Aber wenn du den C-Trainerschein machst, kannst du da auch arbeiten. Für den Wisch brauchst du nur ein paar Wochen, der alte Kalle Trabert soll dich anmelden.«
»Ich überleg’s mir.«
»Wie geht’s deinem Bruder?«, fragte Ali.
»Gut«, antwortete Nadja.
»Ich seh ihn gar nicht mehr beim Training.«
»Er arbeitet viel, er ist Abteilungsvorstand geworden.«
Das Thema Felix mieden Nadja und Mert, genauso wie Mike Tyson, Heike, Constanze oder Stefan.
Nadja hatte Felix erzählt, dass sie mit Mert zusammenzog. Aber Felix erkannte nicht, wie erlöst und glücklich sie deswegen war. Er sah sich getäuscht. Das Elend, gegen das er ankämpfen musste, nachdem Mert sie verlassen hatte, Nadjas Apathie, die ihm seine Hilflosigkeit bei jedem Treffen vor Augen geführt hatte, konnte Felix nicht vergessen.
Nach Merts Abgang war Nadja kaum noch vor die Tür gegangen, an manchen Tagen war sie nicht mal aus dem Bett aufgestanden. Felix und Angelika besuchten sie. Sie brachten ihren Sohn Jörg mit, der mit einem Eis bestochen worden war, seine Tante Nadja zu einem Spaziergang zu überreden. Wenn Felix in dieser Zeit zwei Tage nichts von Nadja gehört hatte, fuhr er morgens vor der Arbeit einen dreißigminütigen Umweg, um mit ihr zu frühstücken. Bei einem dieser Besuche entdeckte er Insulin-Ampullen in ihrem Kühlschrank. Da Nadja nicht zuckerkrank war, machte Felix sich Sorgen, dass sie das Insulin für andere Zwecke nutzen wollte. Er nahm es an sich, und die Tatsache, dass sie ihn nie danach fragte, bestätigte ihn in seiner Ahnung. Eine schwere Bleidecke hatte sich über Felix’ Brust gesenkt, und sie wurde erst leichter, nachdem Nadja Thomas kennengelernt hatte.
Thomas war Dokumentar bei einem Verlag, der Geschäftsberichte produzierte. Er war an so gut wie allem interessiert, belesen und in seiner Andersartigkeit genau der Mann, den Felix sich für seine Schwester schon immer gewünscht hatte. Die beiden waren sich in einer Buchhandlung begegnet. Thomas hatte Nadja auf ihre Buchauswahl angesprochen und dann dazu überredet, gemeinsam einen Kaffee trinken zu gehen. Über Wochen hatten sie nicht mehr als das getan, bis Nadja schließlich begann, Thomas gegenüber ihrem Bruder zu erwähnen. Felix registrierte, dass sich ihre Miene aufhellte, wenn sie von ihm sprach.
Wenn Nadja ihn am Sonntag zum Essen mitbrachte, trug Thomas oft Anzug, immer aber ein Jackett, manchmal auch eine Krawatte. Thomas hatte behauptet, nichts vom Boxen zu verstehen, aber über Henry Maske und die Klitschkos wusste er dann doch einiges, weil er jeden Morgen mehrere Tageszeitungen las. Er wollte Geschichten über den Alltag in der DDR hören, mit deren Entstehungsgeschichte und System er sich besser auskannte als Felix und Nadja. Thomas wusste auch nach einem Jahr noch, welche Bücher Nadja sich bei ihrem ersten Treffen ausgesucht, welche Kleidung sie getragen und was sie im Café bestellt hatte. Ein Mann wie eine Datenbank.
Als Nadja Felix schließlich erzählen musste, dass sie sich von Thomas getrennt hatte, weil Mert wieder aufgetaucht war, hielt Felix sie für übergeschnappt und rücksichtslos. Nicht nur Thomas gegenüber. Felix reagierte so, wie es in der Familie Borau üblich war. Er sprach nicht mehr mit Nadja.
Nachdem sie einige Monate wieder zusammen waren, hatte Mert endlich den Mut aufgebracht, Nadja nach ihrem Exfreund zu fragen. Er war sich nicht sicher, ob er die Antwort ertragen konnte.
»Was ist eigentlich aus dem schlaffen Typen im Anzug geworden, der dich damals zu meinem Kampf begleitet hat?«
»Thomas? Du meinst, warum ich nicht mehr mit ihm zusammen bin?«
»Ja.«
»Wegen dir.«
»Wieso wegen mir?«
»Ich hätte ja schlecht mit euch beiden zusammen sein können. Das hättet ihr beide nicht gut gefunden.«
»Und wie ist er so?«
»Nett.«
»Wie, nett?«
»Er ist ein anständiger Mann.«
»Du meinst, im Gegensatz zu mir.«
»Das hab ich nicht gesagt. Er ist einfach grundsolide.«
»Nach großer Liebe hört sich das aber nicht an.«
»Nicht groß. Aber schön. Ich hab ein bisschen gebraucht,
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