Schlag weiter, Herz
Packung, er war etwas größer als ein Squash-Ball.
»Damit kannst du die Hand von innen kräftigen, wenn ich es richtig verstanden habe.« Sie drückte einen Kuss auf den Ball und gab ihn Mert. Er lag gut in der Hand, fest, schwer, mit einer seidigen Oberfläche. Mert hatte Spaß daran, ihn zu kneten.
»Ich brauch dich noch eine Weile«, sagte Nadja. »Du kannst jetzt kein Invalide werden.«
Monatelang knetete Mert abends vor dem Fernseher seinen Gummiball, bis die rechte Hand erschöpft war. Dann legte er den Ball zur Seite, nur um ihn nach zehn Minuten wieder in die Hand zu nehmen.
Mert begann mit Lauftraining. Die Elbe hoch bis in den Jenisch-Park. Er lief, bis er nicht mehr konnte. Dann drehte er um, machte aber nach der Hälfte schlapp. Jedes Mal, wenn er lief, kam er ein Stück weiter. Nach einigen Wochen ging er wieder zum Training, grüßte alte Kollegen und musterte neue so, als müssten sie ihn kennen. Mert war durch das Laufen wieder schlanker geworden, die Konturen in seinem Gesicht traten hervor, schärfer als früher. Er sah sich wieder ähnlich.
Als Mert zum ersten Mal mit der rechten Faust gegen den Sandsack schlug, wurde er fast ohnmächtig vor Schmerz. Er begann lange Trainingseinheiten zu absolvieren, nutzte dabei aber nur die Linke. Sogar beim Sparring trieb er seinen Gegner damit vor sich her. Seine Linke wurde genauer. Hatte er sie früher auf einen Zentimeter platzieren können, traf er nun auf den Millimeter genau. Pendelte der Gegner mit dem Oberkörper, schnellte Merts Linke an die Stelle, an der der Kopf des Gegners im nächsten Augenblick zu treffen war. Schützte der Gegner sich hinter seiner Doppeldeckung, schlug Mert zwei Linke, zog die Deckung seines Kontrahenten einen Zentimeter nach vorne, um dann mit dem linken Seitwärtshaken an der Deckung vorbei ans Kinn zu schlagen. Andere Menschen meditierten, um ihr Bewusstsein zu erweitern, doch für Mert stellte sich dieses Gefühl mit der späten Entdeckung seiner Linken ein. Sie machte ihn zu einem kompletten Menschen.
Als Professor Zorn ihm endlich die Freigabe erteilte, seine rechte Faust wieder voll einzusetzen, war Mert so sehr an seine Linke gewöhnt, dass er die Rechte nur markierte. Woche für Woche versuchte er, mehr Wucht in die Schläge zu legen. Kraft war da, aber keine Dynamik. Wie durch Watte schlug er seine Rechte an den Sack. Es lag an ihm, an seinem Kopf. Er traute seiner Rechten nicht. Er traute sich selbst nicht.
Schließlich musste der Professor ihn ermutigen, sie wieder voll einzusetzen. »Ihre Rechte ist in Ordnung, was nicht in Ordnung ist, scheint mir Ihr Zutrauen zu sein.«
Mert saß auf der Behandlungsliege, seine Beine baumelten über dem Boden. Er öffnete und schloss seine Rechte, während der Professor sprach. »Manchmal geht man einer Sache aus dem Weg, deren Ergebnis man nicht kennen will. Schlagen Sie zu! Herzhaft wie eh und je! Aus medizinischer Sicht gibt es keinen Grund, der dagegenspricht. Außer den unzähligen Gründen, die Sie nicht interessieren.« Beim nächsten Training hämmerte Mert so hart er konnte mit der Rechten gegen den Sandsack. Abends schmerzte sie, aber nicht von den Folgen des Bruchs, sondern vom Druck seiner Schläge.
Als Nadja von der Arbeit nach Hause kam, erwischte sie Mert, wie er in Unterhosen vor dem Spiegel im Flur posierte. Seine Muskeln hatte er wie ein Bodybuilder angespannt, seine Arme formten ein O. »Na, Big Jim, wieder fit?«, fragte sie. Mert gab die Pose auf, demonstrierte Nadja aber nach Aufforderung begeistert, wie gut seine Muskelgruppen definiert waren.
Nachdem Mert sich beim BC Einigkeit in Form gebracht hatte, ging er zum Verbandstraining, mit einem Gefühl der Fremdheit am Gaumen, das dort klebte wie eine zu große Tablette, die sich nicht auflöst. Es waren viele neue Gesichter da. Gersch begrüßte ihn wie einen verlorenen Sohn, mit einer Umarmung. Mert hatte sich mit Ali verabredet. Sie zogen ihr Programm durch, zwei Veteranen, die alles schon gesehen hatten. Es gab nichts zu demonstrieren. Gersch kümmerte sich um die Jungen.
Ali und Mert hatten nie über die Nacht vor dem Hans-Albers-Eck gesprochen und sprachen auch nicht über Stefan.
Nach dem Trainig lud Mert Ali zu sich nach Hause ein, um ihm seine Wohnung zu zeigen. Er führte ihn durch die Räume und bat ihn, zum Essen zu bleiben. Nadja kochte zur Feier des Tages drei Gänge, mit Vorspeise und Nachspeise. Ali war aufmerksam genug, um zu wissen, dass Mert ihm mit dieser Einladung sagen
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