Schlag weiter, Herz
aus der Nase ziehen.«
»Toll. Es war einfach Wahnsinn. Die ganze Atmosphäre, die Leute, der Ring, die Scheinwerfer. Wenn man da reinläuft, sieht man zuerst nichts, die Musik ist brutal laut, erst im Ring gewöhnen sich die Augen an das Licht. Sogar die Klitschkos haben uns die Hände geschüttelt und Ali gratuliert. Es war irre. Du hättest dabei sein müssen.«
Nadja strich über sein Gesicht, wie man einem kleinen Kind über das Gesicht streicht.
»Du möchtest auch gerne, oder?«
»Ich weiß nicht«, wich Mert aus. »Vielleicht bin ich auch schon durch. Ich hab jetzt fünf Jahre keinen Kampf mehr gemacht.«
»Aber du willst gerne. Ich seh’s doch in deinen Augen.«
»Ja, es wäre schon toll.«
»Dann mach es. Jünger wirst du nicht, und sonst ärgerst du dich irgendwann.«
So machte Mert schon drei Wochen später seinen ersten Kampf als Profi, Ali stand in seiner Ecke. Mert trug eine schwarze Hose und halbhohe schwarze Schuhe ohne Socken. So wie Mike Tyson immer gekämpft hatte. Er lief zu »Thunderstruck« von AC/DC ein, der Wahl dieses Liedes hatte er einen beträchtlichen Teil seiner Vorbereitung gewidmet. Es war kein großer Kampf, wenig Scheinwerfer, und die Show war schlecht. Mert kämpfte in einer Halle in Anderlecht, in der der Putz von den Wänden kam. Er trat im Cruisergewicht an, einer Klasse zwischen Halbschwer- und Schwergewicht, in der es auch auf Weltniveau kaum gute Boxer gab. Er musste nicht abnehmen, aber auch nicht fürchten, einem Zwei-Meter-Mann vor die Fäuste zu laufen. Er war als letzter Kämpfer vor dem Hauptkampf dran. Die Attraktion sollte ein Titelkampf im Halbschwergewicht um eine Interims-Europameisterschaft eines unbedeutenden Boxverbandes sein.
Mert boxte zum ersten Mal gegen einen Schwarzen und hatte Respekt. Die großen Boxweltmeister waren alle schwarz: Louis, Ali, Frazier, Tyson, Holyfield, Lewis. Aber sein Gegner, Carl Roberts, wirkte nicht austrainiert, atmete ab der zweiten Runde schwer und war auch kein guter Techniker. Er hatte nur einen Schädel, auf dem man Holz hätte spalten können. Mert schlug fünf Runden auf ihn ein, immer härter, weil er nicht fassen konnte, dass Roberts nicht k. o. ging, bis der Ringrichter den Kampf schließlich wegen zu großer Überlegenheit abbrach. Der größte Schaden schien nicht an Roberts Kopf entstanden zu sein, sondern an Merts Fäusten. Er musste sie nach dem Kampf in Eiswasser kühlen. Seine Rechte tat ihm noch eine Woche lang weh.
Doch obwohl die Halle schäbig, der Gegner schwach, das Publikum schrecklich und die Luft stickig gewesen waren, wusste Mert, dass er ein neues Ziel hatte. Er war endlich auf dem Weg dorthin, wo er immer hingehörte.
Mert ging mit seiner Kampfbörse um wie mit einem Lottogewinn. Er gab sie zügig aus. Von 9.000 Euro blieben ihm 6.900, nachdem die Prozente für den Promoter, die Miete für die Umkleide und sogar eine Gebühr für frische Handtücher abgezogen worden waren. Noch vor Schweiß triefend las Mert sich die dubiose Abrechnung durch, die ihm unter die Nase gehalten wurde. Er unterschrieb und nahm seine Börse in bar entgegen.
Er bezahlte Ali für dessen Einsatz fünfhundert Euro, die dieser postwendend zurückgab, beschämt, dass er selbst nicht daran gedacht hatte, nach seinem Kampf etwas an Mert abzugeben.
Zurück in Hamburg ging Mert in großem Stil einkaufen. Einen DVD-Player, eine neue Stereoanlage. Am Samstagmorgen ging er mit Nadja zu einem Einkaufsbummel durch die Mönckebergstraße, um sie zu beschenken. Sie blieben an einem Schaufenster hängen, in dem eine Puppe mit Anzug stand.
»Brauche ich einen Anzug?«, fragte Mert.
»Du würdest bestimmt toll darin aussehen.«
»Dann lass uns mal schauen.«
Vier Verkäufer betreuten drei Kunden, man konnte sich kaum umdrehen, ohne dass man nach seinen Wünschen gefragt wurde. Mert ließ sich vermessen, und es dauerte eine Weile, bis der Verkäufer drei Anzüge gefunden hatte, die Merts Körpermaße fassten. Nadja sah sich im Laden um. Ein grün changierendes Kleid mit tief ausgeschnittenem Rücken hing in der Mitte der Damenabteilung an einer Puppe, und sie umkreiste es, bis Mert mit dem ersten Anzug aus der Kabine kam. Die Hosenbeine und Ärmel waren zu lang, der Verkäufer schlug sie ein.
Nadja musste gar nichts sagen, so verliebt sah sie aus.
Als Mert wieder in der Kabine verschwand, drehte Nadja eine weitere Runde um das Kleid. Der nächste Anzug stand Mert noch besser. Und auch der dritte saß gut, wirkte jedoch nicht
Weitere Kostenlose Bücher